Behavioral Finance – so bezeichnen Verhaltensökonomen die mentale Fitness und emotionale Einstellung bei Investoren und Tradern. Wer schon etwas länger an den Finanzmärkten aktiv ist, der weiß, dass es nicht darauf ankommt, genau im richtigen Moment die richtige Aktie zu kaufen und einige Zeit später mit einem riesigen Gewinn wieder auszusteigen. Viel wichtiger ist es, die eigenen Emotionen zu beherrschen.
„Behavioral Finance“ ist eine relativ junge Disziplin, mit der das Verhalten von Marktteilnehmern eingeschätzt wird. Dabei werden verhaltenswissenschaftliche Aspekte im finanzwirtschaftlichen Rahmen untersucht. Konkret geht es dabei um das tatsächliche menschliche Verhalten bei Anlageentscheidungen. Denn theoretisch sprechen wir zwar vom so genannten „homo oeconomicus“, der vollständig rational an den Börsen agiert. Die Realität zeigt aber immer wieder, dass dieser Typus unfassbar große Fehlentscheidungen trifft. So rational kann er also nicht sein, der „homo oeconomicus“.
Behavioral Finance: Vorlieben führen oft zu Fehlentscheidungen!
Es sind vor allem die Vorlieben eines Investors, die oft zu grandiosen Fehlern führen. Diese Vorlieben werden als „Bias“ bezeichnet. Es gibt einige „Bias“, die das menschliche Gehirn sabotieren und manipulieren, was zu Fehlern, Angst, Hoffnung, Gier und kompletter Apathie beim Investieren und Traden führen kann. Der Bias fungiert dabei als eine Befangenheit, eine Tendenz oder ein Vorurteil, das unbewusst prägt und das Verhalten beeinflusst. Am besten ist es, wenn man Marktindikatoren nutzt, um seine subjektive Sichtweise zu überprüfen. Einer dieser Indikatoren ist das Shiller-KGV. In diesem Artikel erfährst du mehr über das Shiller-KGV.
Behavioral Finance: Die sieben wichtigsten Bias!
Confirmation Bias: Der Investor nimmt nur die Informationen auf, die seine bereits bestehende Meinung bestätigen. Dabei werden diese Informationen oft überbewertet und teilweise auch falsch interpretiert. Parallel dazu werden andere Informationen ignoriert. Objektivität gibt es damit nicht. Fakten und Informationen werden nicht in ihrer Neutralität wahrgenommen und fallen damit für eine sorgfältige Analyse aus.
Disposition Effect: Wer diesem Bias anhaftet, der verkauft tendenziell Wertpapiere, die im Preis gestiegen sind und behält die, die im Preis gefallen sind. Auf lange Sicht hat so ein Investor nur noch Verlierer in seinem Depot. Deren Verluste decken nicht ansatzweise die erzielten kleinen Gewinne, die durch die schnellen Verkäufe entstanden sind.
Endowment Effect: Dabei orientiert man sich an einem viel höheren Wert, den ein Wertpapier haben könnte. Prinzip Hoffnung also. Dieser Bias wird oft kombiniert mit dem Disposition Bias. Man sieht die Aktien mit der Unterperformance in seinem Depot, hofft und glaubt aber fest daran, dass sie eigentlich viel höher notieren müssten. Diese beiden Bias-Effekte verstärken sich gegenseitig. Im Endeffekt hat ein solcher Investor einen Haufen Schrott-Aktien in seinem Depot und blendet diese Verluste irgendwann aus. Er schaut einfach nicht mehr in sein Depot und schimpft wie ein Rohrspatz auf alle, die an der Börse investieren.
Hindsight Bias: Investoren, die daran „leiden“, kennen wir wahrscheinlich alle. Das sind diejenigen, die in der Rückschau alles gewusst haben. Sie erklären dir im Detail, warum, wieso und weshalb alles so eingetreten ist, wie es eingetreten ist. Meistens sind sie noch nicht einmal in Aktien oder ETFs investiert. Ich nenne diese Spezies „Nachrichtensprecher“.
Home Bias: Das ist leider sehr häufig anzutreffen. Ich bin in meinen ersten Jahren als Investor und Trader natürlich auch in diese Falle getappt. Wie der Name schon sagt, investiert man bevorzugt in Wertpapiere von Unternehmen mit Sitz im eigenen Land. Dabei gilt im Kleinen wie im Großen die oberste Prämisse: Diversifiziere dein Depot! Das betrifft nicht nur Aktien aus verschiedenen Branchen, sondern auch Aktien aus verschiedenen Ländern.
Illusion of Control Bias: Das sind die Kontrollfreaks unter den Börsianern. Sie glauben, sie können den Ausgang von Ereignissen beeinflussen oder kontrollieren. Was natürlich komplett unmöglich ist. Aber der menschliche Geist neigt dazu, Dinge in seinem direkten Umfeld kontrollieren zu wollen. Die Vorstellung, dass beinahe alles außerhalb unserer Kontrolle liegt, macht diese Menschen völlig verrückt. Das sind übrigens auch diejenigen, die sich nie bis selten aus ihrer persönlichen Komfortzone bewegen. Weil sie glauben, dass sie innerhalb des Gartenzaunes, den sie um ihre kleine Welt gezogen haben, die volle Kontrolle haben. Diese Menschen sind bemitleidenswert, weil sie ahnungslos sind.
Overconfidence Bias: Wer ein paar Mal Glück bei seinen Investments hatte oder zum Beispiel in einer außergewöhnlichen Hausse angefangen hat zu investieren, der kommt zu dem Schluss, dass er den kompletten Überblick hat und es „einfach drauf hat“. Übertriebener Glaube an das eigene Urteilsvermögen lässt diese Menschen alles ausblenden, was ihren Glauben stören könnte. Sie rutschen dann oft ab in den Disposition Bias und behalten Aktien, die fallen und fallen – weil es ja gar nicht sein kann, dass sie sich geirrt haben könnten. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, meinen Artikel über den Running-Kruger-Effekt zu lesen.
Bias bedeutet, dass ich mein rationales Urteilen aufgebe zugunsten menschlicher Triebe. Welchen destruktiven Einfluss menschliche Triebe wie Aggressivität und Selbstsabotage an der Börse haben können, kannst du in diesem Artikel lesen.
Wie kann man diesen emotionalen Fallen entgehen?
Am besten, indem man konkrete Kriterien aufstellt, nach denen man Aktien von Unternehmen kauft. Ohne Wenn und Aber. Dazu gehört aber auch immer ein Exit Plan. Man sollte immer in seine Überlegungen einbeziehen, was im schlimmsten Fall passieren könnte. Beispiel: Wenn ich diese Aktie jetzt kaufe und sie morgen 50 % niedriger notiert – ist das immer noch okay für mich? Wenn ich mir diesen „worst case“ vorstelle und dann immer noch ruhig schlafen kann, dann habe ich eine komfortable Situation für mich geschaffen und werde auch die schlechten Börsenzeiten überleben.
Sind Informationen hilfreich oder lenken sie ab?
Charlie Munger, der kongeniale Partner von Warren Buffett, hat einmal das menschliche Gehirn mit einer Eizelle verglichen. Er bezog sich bei dieser ungewöhnlichen Analogie auf die Verarbeitung von Informationen. Was meint er genau?
Sinngemäß sagte er, dass wenn sich ein Spermium einer Eizelle nähert, diese sich nach der Aufnahme des Spermiums verschließt und keine anderen Spermien mehr hereinlässt. Genau so, führt Munger aus, arbeitet das menschliche Gehirn. Nachdem die erste Information verarbeitet wurde, haben es die nachfolgenden schwer, sich ihren Platz zu erobern. Deshalb geben wir der ersten Information zu einem Thema immer eine größere Bedeutung als den nachfolgenden.
Behavioral Finance: Die Reihenfolge der Informationsaufnahme ist wichtig für ihre Relevanz!
Im Finanzbereich ist so etwas natürlich verhängnisvoll. Dafür gibt es einfach zu viele wichtige Informationen, die verarbeitet werden müssen. Man sollte also sehr behutsam vorgehen, welche der wichtigen Informationen man zuerst aufnimmt. Denn diese erste Information ist wahrscheinlich die, die die größte Bedeutung haben wird und damit auch die grundlegende Richtung bestimmt, in der wir weiter denken.
Wenn ich Aktien analysiere oder Geschäftsberichte von Unternehmen lese, gehe ich nach einer bestimmten Reihenfolge vor. In diese Reihenfolge rangieren die einzelnen Kriterien, die für mich von Bedeutung sind, in der Folge ihrer Bedeutung und Wichtigkeit. Wenn für mich also das KGV die wichtigste Information bedeuten würde (was sie übrigens nicht tut!) dann würde ich mir immer zuerst das KGV anschauen und danach zum zweitwichtigstem Kriterium übergehen. Auf diese Art habe ich mir eine nützliche Reihenfolge geschaffen, in der ich die für mich relevanten Informationen aufnehme, und komme bei der Gesamtbeurteilung nicht durcheinander.
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Danke für die Verlinkung über Twitter. Der Artikel ist dir gelungen und hat meinen Horizont wieder erweitert!