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Buchtipp: Francis Fukuyama – Der Liberalismus und seine Feinde

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Der Politik-Wissenschaftler Francis Fukuyama hat 1989 mit seinem Buch „Das Ende der Geschichte“ für weltweites Aufsehen gesorgt. Sein aktuelles Buch „Der Liberalismus und seine Feinde“ kommt zu einer interessanten Zeit, denn klassische liberale Werte geraten zunehmend unter Beschuss von rechts und links. 

Es ist ein schmales Buch, das Fukuyama geschrieben hat. Der in Standford lehrende Professor für Demokratie, Entwicklung und Rechtsstaatlichkeit hat alles reingepackt, was seiner Meinung nach wichtig ist, um die aktuelle gesellschaftspolitische kritische Situation für den Liberalismus (vor allem in den USA, aber nicht nur dort) zu verstehen. Das Buch ist aber auch Einführung und Erläuterung für diejenigen, die Liberalismus nur in der derzeitigen Ausformung kennen, aber nicht wissen, was Liberalismus eigentlich ist und wo er seine Wurzeln hat. 

Der Liberalismus ist ein Kind der Aufklärung. Der aufgeklärte, tolerante und nach Erkenntnis strebende Mensch fungiert als Träger der Idee des Liberalismus. Dieser Typus handelt nach liberalen Grundsätzen und hält auch dem Druck durch innere und äußere Umstände stand.

„…das sind freilich die, die einen guten Verstand und einen hellen Geist haben und sich nicht wie die große Masse mit dem Anblick dessen begnügen, was ihnen zu Füßen liegt; die nach vorwärts und rückwärts schauen, die Dinge der Vergangenheit herbeiholen, um die kommenden zu beurteilen und die gegenwärtigen an ihnen zu messen; das sind die, welche von Haus aus einen wohlgeschaffenen Kopf haben und ihn noch durch Studium und Wissenschaft verbessert haben; diese würden die Freiheit, wenn sie völlig verloren und ganz aus der Welt wäre, in ihrer Phantasie wieder schaffen und sie im Geiste empfinden und ihren Duft schlürfen; die Knechtschaft schmeckt ihnen nie, so fein man sie auch servieren mag.“

(aus „Von der freiwilligen Knechtschaft des Menschen“ von Étienne de La Boëtie)

Der Amspruch Fukuyamas, einen kompletten Rundgang unter der Überschrift „Liberalsmus“ zu machen – von der philosophischen Ausgangssituation bei Kant und Locke über die wissenschaftliche Methode, beginnend mit Descartes bis zur politischen Reife und den Auswüchsen des Neo-Liberalsmus in den 1980-er Jahren – ist gleichzeitig der größte Kritikpunkt. Die Inhalte sind oft abstrakt und vieles bleibt an der Oberfläche. Dazu sollte man wissen, dass Fukuyama ursprünglich einen Leitartikel für eine Online-Publikation geschrieben hat. Erst später wurde aus diesem Positionspapier das vorliegende Buch. 

Der Autor selbst fasst den Inhalt des Buches so zusammen:

„Dieses Buch ist der Versuch, das theoretische Fundament des klassischen Liberalismus darzulegen und einige der Gründe zu erläutern, warum er Unzufriedenheit und Gegnerschaft hervorruft.“

Francis Fukuyama

Das ganze Buch hindurch schreibt Fukuyama darüber, dass der Liberalismus in seiner ursprünglichen Definition stets auch die Angriffspunkte gegen sich selbst liefert. Gerade die Individualität ist ein perfekter Angriffspunkt für die Kritiker heute, denn von dort ist es nicht weit zur Identitätspolitik. Das erleben wir zur Zeit weltweit in liberalen Demokratien. Themen wie Umverteilung (Erbschaft und Vermögen sind unverdient usw.) werden ausschließlich von Gruppen bestimmt.  

Was in der Hitze der Wortgefechte vergessen wird ist die Tatsache, dass Identitätskultur erst die Folge von liberalen Strukturen ist. Grundlage dafür ist gegenseitige Toleranz. Aber der Liberalismus hat es schwer, wenn Gruppen argumentieren, dass nicht der Einzelne handelt und man den Einzelnen nicht tolerieren kann, sondern dass der Einzelne nur handelt, weil er Teil einer Gruppe ist und deshalb nur die Gruppe Toleranz verdient.

Es geht bei Identitätspolitik um die Rechte von Gruppen und nicht mehr um die Rechte von Individuen. Das ist die Argumentation von links und rechts gegenüber dem Liberalismus. Immer mit dem Verweis auf die Historie, dass Individualität ohne Begrenzung  zu massiver Ungleichheit in der Gesellschaft führt.

Begriffe wie Toleranz, Individualität und persönliche Freiheit sorgen schon für genug Verwirrung, denn sie können unterschiedlich ausgelegt werden. Was bedeutet Individualität im Zusammenhang mit Ungleichheit? Wann ist Vermögen verdient und wann nicht? Und wer bestimmt das?

Mehr dazu kannst du in diesem Artikel zu Thomas Pikettys Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ lesen.

Leider verwässern die Argumente, wie Rechte und Linke den Liberalismus pervertieren im Verlauf des Buches. 

Piketty hat sein „Kapital im 21. Jahrhundert“ stringenter geschrieben. Er bleibt immer bei seinem Thema. Er ist nicht unbedingt der bessere Schreiber, aber er hat es geschafft, ein konsistentes System in seinem Buch zu entwerfen, dem man logisch folgen kann. Man muss es nicht gut finden, aber man versteht es. Fukuyama argumentiert gut, aber man hat das Gefühl beim Lesen, dass er den Kritikern erklären will, dass sie alle im Irrtum sind über den Liberalismus, und weil keiner ihm zuhört, argumentiert er immer weiter und atemloser. 

Dem Punkt, dass die wissenschaftliche Methode eine Folge liberaler Grundsätze und Freiheit ist, hätte Fukuyama durchaus mehr Aufmerksamkeit und Seiten widmen können. Rationales und wertorientiertes Denken ist Teil einer wichtigen Eigenschaft von Liberalismus – nämlich immer die wissenschaftliche Methode anzuwenden.

Er ordnet die wissenschaftliche Methode dem Liberalismus zu, schreibt aber sofort, dass die meisten Menschen nicht so vorgehen bei ihren Entscheidungen. Die meisten Menschen drehen die wissenschaftliche Methode sozusagen um und handeln impulsiv zu ihrem persönlichen egoistischen Nutzen und besorgen sich genau die (wissenschaftlichen) Argumente, die ihre Handlungsweise bestätigen. Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Liberalismus-Kritiker. Seht hin, der Liberalismus fördert ausschließlich den Egoismus und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. 

Natürlich ist das eine verkürzte Verbiegung der liberalen Ideen, aber es verschafft den Gegnern wirkungsvolle Munition. Dabei ist der Respekt vor der Freiheit und Individualität der Mitmenschen durchaus mit einer wissenschaftlichen Methode gleichzusetzen. Nicht zufällig zitiert Fukuyama Philosophen wie Locke und Kant. 

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache der selben, nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“

Immanuel Kant

Der Liberalismus und seine Feinde ist ein wichtiges Buch. Es ist kein Buch, was plakative Lösungen bietet. Vor allem deshalb hat es keinen leichten Stand im Buchhandel, denn es ist quasi „umzingelt“ von den Büchern seiner Kritiker. Francis Fukuyama ist sich dessen bewusst. Auf Seite 173 schreibt er:

„Die für die Zukunft noch unbeantwortete Frage lautet, ob die liberalen Gesellschaften die internen Brüche und Spaltungen überwinden können, die sie selbst verursacht haben. Was als institutioneller Mechanismus begann, um die Vielfalt beherrschen zu können, hat neue Formen der Vielfalt hervorgebracht, welche genau diese Mechanismen bedrohen.“

Francis Fukuyama

Foto von Andres Perez auf Unsplash

Tags: Bücher, Buchtipp, Finanzblogger, finlog, Francis Fukuyama, Lesen, Liberalismus

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