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Buchtipp: Gerd Gigerenzer – Bauchentscheidungen 

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Wer hatte nicht schon einmal das Gefühl, etwas gewusst zu haben, aber keine Ahnung, woher dieses Wissen kam? Warum treffen wir manchmal Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“? Gerd Gigerenzer geht in seinem Buch „Bauchentscheidungen“ diesen Fragen nach. Ein spannender Exkurs in die verborgenen Winkel unserer evolutionären Intelligenz.

Gerd Gigerenzer ist einer der weltweit anerkanntesten Psychologen und Risikoforscher. In seinem Buch „Bauchentscheidungen“ stellt er der rationalen Methode, wie Menschen Entscheidungen treffen, die andere Seite gegenüber – nämlich, wann und warum es oftmals gut ist, auf sein „Bauchgefühl“ zu vertrauen. Daten und Fakten rational zu verwenden ist von Vorteil, wenn man genügend Zeit dafür hat. Aber nicht für jede Entscheidung können wir auf unsere Ratio zurückgreifen. Meistens wirken ganz andere Mechanismen. Diese haben sich laut Gigerenzer evolutionär entwickelt und beruhen auf der Interaktion vom Menschen in seiner Umwelt. 

„Um Verhalten zu verstehen, müssen wir sowohl die Intelligenz als auch die Umwelt betrachten.“

Gerd Gigerenzer

Eine Entscheidung zu treffen heißt, eine bestimmte Möglichkeit für einen zukünftigen Verlauf, den anderen gegebenen Möglichkeiten vorzuziehen. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass es keine sicheren Entscheidungen geben kann. De meisten Entscheidungen, die wir treffen, sind durch Evolution entstanden. Diese nennen wir Instinkte. Aus ihnen hat sich eine Art automatische Entscheidungsfindung ergeben, die bei Gigerenzer Bauchentscheidungen genannt wird.

Sie sind deshalb Bauchentscheidungen, weil sie nicht rational getroffen werden, sondern auf unserer Interpretation der verschiedenen Möglichkeiten beruhen und manchmal noch nicht einmal das – wir treffen sie blitzschnell, und können hinterher oftmals nicht sagen, warum wir diese Entscheidung so getroffen haben und nicht anders. Es sind über Generationen überlieferte Verhaltensweisen. Das macht absolut Sinn, denn wenn wir täglich alle Entscheidungen rational treffen wollten, kämen wir früh wahrscheinlich noch nicht einmal unfallfrei aus dem Bett.

Auch wenn Entscheidungen von uns ohne erkennbaren rationalen Ansatz getroffen werden, beruhen sie auf Wissen. Aber nicht im wissenschaftlichen Sinne, sondern dieses Wissen wird intuitiv angewendet und dabei spielen Heuristiken (Abkürzungen und Vereinfachungen im Denkprozess) eine entscheidende Rolle. Diese Heuristiken benutzt jeder Mensch regelmäßig. Sie basieren auf persönlichen und überlieferten Erfahrungen. 

„Je weniger Umwelt(Einflüsse), desto größer der Anteil der Intelligenz.“

Gerd Gigerenzer

Der Politologe Francis Fukuyama ist in einem ganz anderen Fachbereich zuhause. Er ist der Autor von „Das Ende der Geschichte“. Sein aktuelles Buch „Der Liberalismus und seine Feinde“ stelle ich in diesem Artikel vor. Auch Fukuyama weist explizit auf den Unterschied zwischen rationalem Denken und intuitivem Handeln hin.

„…ist das Wissen über die Welt nicht wie eine Reihe empirischer Fakten, die jeder Beobachter aufgreifen und nutzen kann. Vielmehr ist es in Lebenserfahrungen eingebettet; Wissen zu erwerben ist kein abstrakter kognitiver Akt, sondern aufs Innigste mit Tun und Handeln und Behandeltwerden verbunden.“

Francis Fukuyama, Der Liberalismus und seine Feinde

Der Widerspruch besteht darin, dass wir rational durchaus der Meinung sind, dass, je mehr Informationen wir aus unserer Umwelt verwenden bei unserer Entscheidungsfindung, desto besser das Ergebnis sein muss. Das mag in vielen Fällen so sein, aber es zum generellen Prinzip zu erklären, kann das Gegenteil bewirken. Gigerenzer schreibt über ein Experiment zur Auswahl von Aktien.

Der Aktienmarkt ist ein extremes Beispiel für eine ungewisse Umwelt mit einer Vorhersagbarkeit auf oder nahe dem Zufallsniveau. Der Umstand , dass Finanzexperten beim Börsenspiel der Zeitschrift Capital so schlecht abgeschnitten haben , war kein Einzelfall. Kürzlich wurden in einer Stockholmer Studie Portfolio-Manager, Analysten, Börsenmakler und Investmentberater aufgefordert , die Wertentwicklung von 20 Bluechip-Aktien vorherzusagen. Jedem Teilnehmer wurden immer zwei Aktien gleichzeitig genannt, und er sollte vorhersagen, welche sich besser entwickeln würde. Die gleiche Aufgabe erhielt eine Gruppe von Laien, deren Vorhersagen sich in 50 Prozent der Fälle als richtig erwiesen. Das heißt, die Vorhersagen der Laien bewegten sich, wie nicht anders zu erwarten, auf Zufallsniveau, nicht besser und nicht schlechter. Wie gut schnitten die Profis ab?  Sie entschieden sich nur in 40 Prozent der Fälle für die richtige Aktie. Das gleiche Ergebnis wurde in einer zweiten Untersuchung mit einer anderen Expertengruppe erzielt. Wie ist es möglich, dass die Vorhersagen der Finanzexperten konsequent unter dem Zufallsniveau lagen? Experten stützen sich bei ihren Prognosen auf komplexe Informationen über jede Aktie, und der hohe Konkurrenzdruck veranlasst sie zu Vorhersagen, die sich von einem Experten zum anderen erheblich voneinander unterscheiden. Da nicht jeder recht haben kann, drückt diese hohe Variabilität die Gesamtleistung unter das Zufallsniveau.“

Gerd Gigerenzer

Partielle Unwissenheit ist oft ein Vorteil!

Im Buch werden sehr viele Beispiele für den Widerspruch von rationalen Entscheidungen und Bauchentscheidungen aus vielen Bereichen genannt. Durchaus beängstigend sind die Ergebnisse bei der Erkennung von Tumoren auf Röntgenbildern durch Experten. Ich führe das hier nicht weiter aus, nur so viel – an machen Tagen hat man einen Tumor und an anderen nicht. Und wir sprechen hier von einer identischen Röntgenaufnahme, die im Abstand von 48 Stunden dem selben Experten vorgelegt wurde. In diesem Fall könnte KI tatsächlich die bessere Analyse vornehmen als das (Bauch)Gefühl und die Erfahrung von Experten. Zu dem Thema Gesundheitsvorsorge und Auswertung von Untersuchungen hat auch Daniel Kahneman zahlreiche Tests durchgeführt, die gleichfalls beunruhigend sind und den Besuch beim Facharzt zum Würfelspiel werden lassen, während KI hier klar besser abschneidet.

Abschließend noch ein interessantes Paradoxon, auf das Gigerenzer eingeht. Wer partiell unwissend ist, kann und sollte Intuition als Leitfaden für seine Entscheidungen nutzen. Wer gar nichts weiß, hat sowieso Pech, aber das betrifft die wenigsten Menschen. Wer viel weiß, ist aber nicht unbedingt im Vorteil bei Entscheidungen. Siehe die Experten bei der Aktienauswahl. Wer ein bisschen was weiß, kann oftmals durch Abkürzungen im Denken die bessere Wahl treffen. Viele menschen greifen bei einer Auswahl auf die sogenannte Rekognitionsvalidität zurück. Das heißt, wenn ich die Wahl habe zwischen etwas, was ich schon mal gehört habe und etwas, von dem ich noch nie gehört habe (ich bin also partiell unwissend in dieser Sache), dann ist es am besten, das zu wählen, von dem ich schon mal gehört habe. In diesem Zusammenhang macht der Börsen-Tipp: Kaufe Aktien von den Unternehmen, von deren Produkten oder Dienstleistungen du schon mal gehört hast oder die du nutzt, absolut Sinn. 

„Bauchentscheidungen“ ist ein Buch mit vielen Beispielen für und gegen Bauchentscheidungen und die dahinter liegenden Vorgänge im Gehirn. Gut geschrieben, schnell zu lesen. Aber Achtung: Die partielle Unwissenheit verringert sich auch mit dieser Lektüre. So ist das, wenn man gute Bücher liest. Man wird zwangsläufig etwas schlauer. Dass es manchmal von Vorteil ist, wenn man weniger weiß, kann man bei Gerd Gigerenzer erfahren. Aber hey – man kann nicht alles haben.

Foto von Edz Norton auf Unsplash

Tags: Bauchentscheidungen, Bücher, Buchtipps, Finanzblogger, finlog, Gerd Gigerenzer

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