Ein Drehbuch für die Märkte zu erstellen ist eine lohnenswerte Aufgabe. Zuerst, weil ich mich dadurch mit den Chancen und Risiken meiner Investments auseinandersetzen muss. Es geht ganz schnöde um mein Geld. Zweitens ist es aber auch intellektuell eine dankbare Aufgabe. Lernen hat noch nie geschadet.
Bevor ich anfange, mein Drehbuch für die Märkte zu formulieren, möchte ich folgendes vorausschicken:
Ich weiß gar nichts. Ich weiß ein bisschen, was in der Vergangenheit an den Finanzmärkten passiert ist, aber ich weiß definitiv nicht, was in der Zukunft an den Finanzmärkten passieren wird. Ich kann lediglich Vermutungen anstellen und darauf mein Handeln abstimmen. Ich mache das, in dem ich schreibe. Schreiben fokussiert das Denken.
Der Status Quo: Wo stehen wir? Und wie sind wir da hingekommen?
Die letzten zwölf Jahre hatten wir – mit ein paar Unterbrechungen – einen Markt, der historisch betrachtet eine Ausnahme darstellt. Jede Asset-Klasse hat sich während dieser Zeit enorm aufgebläht – in einem Umfeld geringer oder gar keiner Zinsen und durch eine bis dato unbekannte Menge an Liquidität befeuert. In diesem Markt hat sich der Begriff „Qualität“ (man könnte es auch als gesunden Menschenverstand bezeichnen) verändert. Durch die enormen Steigerungen in den Kursen aller Asset-Klassen haben sich Unternehmen mit ihren Produkten und Dienstleistungen und in deren Folge die Aktienpreise dieser Unternehmen von der ursprünglichen Aussage entfernt.
„Die Flut hebt alle Boote“, heißt der dazu passende Spruch an der Börse. Alle Vermögensklassen querbeet sind im Wert gestiegen während dieser Zeit; respektive im Kurs gestiegen, und Kredite gab es quasi zum Null-Zins, so dass auch Geschäftsmodelle salonfähig geworden sind, die unter normalen Umständen keine Chance gehabt hätten und schon bei der Finanzierung gescheitert wären. Ein Sieben-Tage-Bart, eine Mütze auf dem Kopf und eine überzeigende Präsentation haben oftmals gereicht, um renditenhungrigen Investoren das Kapital bei einem Craft Beer aus den großen Portemonnaies zu saugen. Es war ein Markt von Idioten mit idiotischen Rahmenbedingungen und in so einem Markt sind natürlich auch Idioten in der Lage, große Gewinne mit ihren Spekulationen einzufahren.
Drehbuch für die Märkte: Paradigmenwechsel!
Diese Zeiten sind meiner Meinung nach vorbei. Wir befinden uns mitten in einem Paradigmenwechsel. Das Zinsregime hat sich komplett geändert. Aktuell werden für US-Staatsanleihen 5 % Zinsen bezahlt. Eine ganze Anleger-Generation an der Börse weiß überhaupt nicht, wie sie mit diesem Fakt umgehen soll. Viele wissen nicht, was es bedeutet, wenn man (fast) risikolos 5 % Rendite bekommt und am Ende der Laufzeit noch dazu sein eingesetztes Kapital zurückerhält.
Diejenigen, die jetzt noch Aktien kaufen und sich womöglich noch sich über eine Dividendenrendite von 3,5 % freuen, wo die Kurse der großen Indices (ausgenommen der Bereich Asien/Pazifik) fast an ihren Alltime Highs kratzen , sind vielleicht die letzten, die auf die Straßenbahn aufspringen und nicht sehen, dass es nur noch eine Station bis zur Endhaltestelle ist.
Drehbuch für die Märkte: Auf das Chance-Risiko-Verhältnis achten!
Noch einmal: Ich bekomme 5% auf eine fast risikolose Anlage und stelle demgegenüber eine fiktive Dividendenrendite von 3,5%, die aber mit dem Risiko von Kursschwankungen in der entsprechenden Aktie verbunden ist.
Die Skeptiker sind aktuell in der Minderheit, aber ich glaube, sie haben einen großen Vorteil. Sie sind sich zwar darüber im Klaren, dass es womöglich noch weitere Kurssteigerungen bei Aktien geben könnte, sie sehen aber, dass diese Möglichkeiten begrenzt sind. Wenn diese Möglichkeiten begrenzt sind, dann ist auch die theoretische Rendite begrenzt. Demgegenüber steht aber ein viel größeres Risiko, dass die Kurse signifikant fallen könnten.
Warum denke ich, dass die Möglichkeiten nach oben begrenzt sind und die Gefahr nach unten größer ist? Weil ich der Meinung bin, dass sich die Märkte in zyklischen Abläufen bewegen und das es das Prinzip von zyklischen Bewegungen ist, dass es immer eine Rückkehr zum Mittelwert gibt – die sogenannte Mean Reversion. Das heißt ganz salopp formuliert: Das Chance-Risiko-Verhältnis ist aktuell für Anleger, die jetzt noch in die Straßenbahn aufspringen wollen, sehr schlecht.
Drehbuch für die Märkte: Meine Einschätzung!
Meiner Meinung nach sollte man bei den Marktbedingungen in den nächsten Jahren mit mehr Volatilität rechnen – und bei den Kursen mit Ausschlägen nach oben und nach unten. Man sollte damit rechnen, dass Qualität wieder ein Begriff wird und es zu größeren (Kurs)Abstürzen von Unternehmen kommen kann, die nicht mehr wettbewerbsfähig beziehungsweise zukunftsfähig sind. Das können durchaus Unternehmen sein, die heute besonders gut dastehen.
„An der Börse kann alles passieren – auch das Gegenteil.“
André Kostonlany
Wie verhalte ich mich in so einer Umgebung?
Wer mich länger kennt, weiß, dass ich grundsätzlich ein großer Fan der passiven Geldanlage bin. Aber als Anleger muss ich flexibel mit den Marktbedingungen und den Rahmenbedingungen umgehen können. Meiner Einschätzung nach kann das passive investieren über ETFs eine mentale Herausforderung werden in den nächsten Jahren. Ich glaube, das sich die Bewegungen der Kurse in ihrer Nachhaltigkeit und in ihrer Trendstärke zeitlich verkürzen werden.
Wir werden öfter Moves in verschiedene Richtungen sehen, die aber nicht lange anhalten werden. Begriffe wie Money Management und Stopp Management könnten wieder eine Renaissance erleben. Stures Buy and Hold könnte in so einer Umgebung problematisch werden. Weil keiner weiß, wie ein einzelnes Unternehmen in den nächsten Jahren mit den Herausforderungen fertig wird.
Ich weiß natürlich auch nichts und es kann sein, das ich total daneben liege. Das Börsengeschäft ist keine Wissenschaft. Hier sind Menschen am Werk, und Menschen tun meistens irrationale Dinge. Es ist allenfalls Wahrscheinlichkeitsrechnung, was wir an den Finanzmärkten anwenden können. Wir können Vermutungen anstellen und diese ausprobieren. Der Markt entscheidet dann, ob unsere ursprüngliche Vermutung richtig oder falsch war. Es ist definitiv immer ein Agieren in einem Umfeld der Unsicherheit.
Wir gehen bei unseren Annahmen – ich nenne das Spekulationen – immer eine Wette ein. Eine Wette mit uns selbst. Wir wollen herausfinden, ob unsere Annahme über die Zukunft eines Unternehmens beziehungsweise einer Aktie richtig ist. Manchmal ist das der Fall. Manchmal nicht.
Vorhin habe ich von einem Markt gesprochen, der idiotisch war und an dem auch viele Idioten Geld machen konnten mit ihren Spekulationen. In solchen Märkten, wie wir sie in den letzten zehn oder zwölf Jahren erlebt haben, konnte man tatsächlich viel Geld machen, auch wenn man nicht besonders viel Ahnung hatte oder Energie in das Verständnis von Börsenmechanismen oder Anlegerpsychologie gesteckt hat. Der Begriff Qualität hatte nicht mehr die Bedeutung wie vorher. Auch das könnte sich in den nächsten Jahren ändern.
Wie so oft hat die Börse auch dafür ein schönes Sprichwort parat:
„Es ist leicht, in einem Bullenmarkt Geld zu machen. Aber es ist schwer, dieses Geld in einem Bärenmarkt zu behalten.“
Ich sage das nur als Anregung zum Nachdenken und nicht, weil ich behaupte, wir kommen in einen Bärenmarkt. Ich kann das nicht wissen. Keiner kann das wissen. Aber Kapitalerhalt und ein striktes Befolgen von klaren Regeln mit lohnenswertem Chance/ Risiko-Verhältnis sollte sich jeder ganz oben auf die Checkliste schreiben.
Foto von Henrique Hanemann auf Unsplash
7 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hallo Tino,
Danke für dein Szenario! Stimme deiner Meinung zu dass wir ruppigen Investmentzeiten entgegengehen gehen.
Die Alternative mit 5% Zinsen (fast) ohne Risiko teile ich nicht. Wenn die Rückzahlung nach Inflation deutlich weniger wert ist habe ich zwar in der Zwischenzeit mein Einkommen generiert, aber verliere den Buchwert? Bei einer Aktie / Index mit Qualität habe ich zwar Volatilität aber bei Anleihen verliere ich langfristig.
Hallo Christian,
danke dir für deine Ergänzung. Ich stimme dir zu – aber es ging mir bei dem Vergleich nicht um den absoluten Return nach Steuern und Inflation, sondern um die Darstellung des Risikos, was meiner Meinung nach aktuell bei Investments in Aktien größer ist. Schwierig ist es in beiden Fällen, da sind wir uns einig 😉
Beste Grüße, Tino
Immer wieder ein Vergnügen! Danke für die tolle Lektüre.
Mit besten Grüßen
NostaX
Danke Robert, beste Grüße zurück 🙂
Als Landei sage ich:
Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich der Markt oder er bleibt wie er ist.
Wer weiß schon was die Zukunft bringt? Die Wirtschaftsweisen passen ihre Prognosen doch auch alle Nase lang an. Und da soll ich es besser wissen?
Schwer vorstellbar.
Bei der Gegenüberstellung von Zinsen und Dividenden wird schnell übersehen, dass Zinsen fix sind. Sie kommen sicher und planbar, bieten aber auch keine Hoffnung auf Steigerung. Was nützen mir daher die 5%, die heute gut aussehen, in 5 Jahren bei 6 % Inflation?
VG
Herbert
Hallo Herbert, danke für deinen Kommentar. Wenn du genau liest, wirst du feststellen, dass ich keine Predictions mache, sondern nur meine Einschätzung des Status quo formuliert habe. Ich weiß überhaupt nicht, was die Zukunft bringt. Jeder, der das behauptet, spinnt meiner Meinung nach 😉 Mein Artikel fasst meine Sichtweise zusammen. Daraus kann ich einen Handlungsplan erstellen. Dieser Handlungsplan passt dann für MICH – bestimmt aber nicht für andere. Was ich erreichen will ist, dass Marktteilnehmer sich eigene Gedanken machen. Über ihr Risiko im Portfolio nachdenken. Und nicht glauben, dass alles so bleibt, wie es ist.
Zu dem 5%-Beispiel eine Anmerkung: Gerade weil ich wie du keine sicheren Aussagen über die Zukunft an den Märkten machen kann, ist es EINE Möglichkeit, diese 5% jetzt zu fixen – auch wenn die Inflation mir insgesamt eine negative Rendite von 1% beschert. Was gäbe es noch für eine Möglichkeit? Na klar, zu hoffen, dass meine Portfolio mit Aktien (ETFs) 10% steigt und dann hätte ich eine positive Rendite nach Inflation von 4%. Das wäre der bessere Deal. ABER, wie du treffend beschreibst – das kann keiner wissen. Es bleibt kompliziert 🙂
Viel Erfolg. Ich freue mich immer über deine Ergänzungen und Gedanken in den Kommentaren.
Hallo Tino,
meine Hoffnung ist, dass die Ausschüttungen aus meinen ETF jährlich etwas steigen und mir der Kurs der ETF dann einigermaßen gleichgültig sein kann. Da ich bis 67 arbeiten will und dann als „sicheres“ Grund-Einkommen die gesetzliche Rente habe, kann ich dann aber – wenn es läuft wie geplant – etwas entspannter sein als jemand, der größtenteils von seinem Depot lebt. In solchen Jahren wie 2020 kann ich meine Ausschüttungen vergessen, das ist klar. Ich hoffe aber, dass sowas nicht zu häufig vorkommt.
Grundsätzlich ist es ja vernünftig, sich Gedanken über die zu erwartende Entwicklung zu machen. Nur ging das leider bei mir in diesem Jahr völlig in die Hose. Ich habe in der Vergangenheit immer sofort dann gekauft, wenn Kohle vorhanden war. In diesem Jahr habe ich erstmalig in Erwartung fallender Kurse mit Cash und Limit-Order an der Seitenlinie verharrt und sehe nun die Schlussleuchten meines Wertpapiers, dass in ungeahnte Höhen davon eilt.
Naja, vielleicht habe ich ja noch Glück. Die Kurse könnten ja im Verlauf des Spätsommers noch fallen, wenn man diesen alten Börsenweissheiten trauen darf.
VG
Herbert