(Gastbeitrag von Emanuel aka aktien22. Folge ihm gern auf Twitter). Wie seid ihr eigentlich zur Börse gekommen? Mit welchen „Wahrheiten“ und Strategien wurdet ihr dabei konfrontiert? Ich bin an der Börse mit der Auffassung sozialisiert worden, dass man eine Aktie kauft, von der man überzeugt ist und dann nicht mehr angreift. Man lässt den Markt quasi seinen Job machen und nach ein paar Jahren hat sich mein Vermögen schön vermehrt. Das Thema Verlustpositionen kommt dabei nicht vor. Man geht davon aus, dass man den Faktor Zeit auf seiner Seite hat und Aktien langfristig nur einen Weg kennen: nach oben. Und wenn eine Aktie korrigiert, dann muss man das Ding einfach nur halten, das gehört einfach dazu.
Seit 2012 bin ich berufstätig und 2014 hatte ich genug Geld zusammen für ein größeres Investment in die Vienna Insurance Group. Ich kaufte zu 36 EUR 100 Stück der VIG. Der Anfang war unspektakulär und bis Mitte 2015 stieg der Kurs auf ca. 42 EUR. Und dann begann er zu fallen. Das ist die normale Volatilität, dachte ich mir. Dann war die Position 20% im Minus, aber ich wollte mich ja langfristig engagieren, weil mir die Story mit der Ost-Expansion gefiel und ich auch die Dividenden kassieren wollte. Aber der Kurssturz hörte nicht auf (das Tief war dann bei ca. 16,50 EUR Mitte 2016 erreicht). Ein Jahr später beendete ich das Abenteuer mit einem Exit-Preis von 24 EUR. Ein Drittel meines Investments war verloren und insgesamt war ich 3 Jahre investiert. Heute, noch einmal fünf Jahre später, steht der Kurs im Übrigen bei 23 EUR.
Wie gehe ich mit einer Verlustposition im Depot um?
Jetzt kann man natürlich sagen, dass ich schlechtes Research gemacht habe und VIG nie hätte kaufen dürfen. Aber das ist hier gar nicht das Problem. Das wahre Problem war, dass ich nicht wusste, wie ich mit einer Verliererposition umgehen soll. Gelähmt wie der Hase vor der Schlange habe ich der Aktie beim Fallen zugesehen und hoffte, dass der Kurs sich wieder erholt. Aus einem kleinen Verlust wurde ein großer – einer der Kardinalfehler an der Börse (frei zitiert nach Mark Minervini).
In der Psychotherapie soll man keine Ferndiagnosen stellen und auch an der Börse, bzw. das, was über Social Media dazu verbreitet wird, sollte man damit vorsichtig sein. Ich habe aber das Gefühl, dass viele Investoren, die sich als „Buy and Hold“ bezeichnen, eine ähnliche Erfahrung wie ich gemacht haben: Sie haben keine Ahnung, wie man mit einer „Losing Position“ umgeht.
Im folgenden möchte ich auf einige Aspekte eingehen, die mir bei den Diskussionen auf Twitter zu „Buy and Hold“ unterkommen sind und wie man mit einer „Losing Position“ im Depot umgehen kann.
Aktienkurse bewegen sich in Trends!
Vorweg sollte man festhalten, dass Aktienkurse sich in Trends bewegen. Wenn man sich Charts ansieht, dann kann man vereinfacht gesagt von drei Börsenphasen ausgehen: einer Aufwärtsphase, einer Abwärtsphase und einer Seitwärtsbewegung. Mein Ziel ist es nun, die Aktien zu besitzen, die sich in einer Aufwärtsbewegung befinden. Der Zeithorizont, wie man eine Aufwärtsbewegung definiert, kann subjektiv sein – für mich sind es zwei einfache Kriterien: dass der 200-Tagesdurchschnitt (MA200) nach oben verläuft und der 50-Tagesdurchschnitt (MA50) sich über dem MA200 befindet.
Das sind die Börsenphasen, in denen man Geld verdient. In allen anderen Phasen verliere ich Geld und/oder Zeit. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass man immer den kompletten Aufwärtstrend einer Aktie mitnimmt. Aber ich denke, als Investor/Trader sollte man zufrieden sein, wenn man den größten Teil davon erwischt.
Jedoch kommt bei jeder Aktie irgendwann der Moment, wo sich der Aufwärtstrend umkehrt und die Aktie korrigiert. Das kann in Form eines Pullbacks passieren, der nur eine Pause in einem weiterhin intakten langfristigen Aufwärtstrend ist. Oder das Unternehmen hat fundamentale Probleme und der Kurs geht in einen Abwärtstrend über.
Was ich auf Twitter vermehrt gelesen habe, waren Stories über Aktien, die in den letzten zwei Jahren schöne Kursgewinne von 70% und mehr erzielt haben, aber diese Gewinne im aktuellen Bärenmarkt zur Gänze wieder abgegeben haben.
Das ist für sich betrachtet mit Blick auf das komplette Portfolio schon schade (um es freundlich auszudrücken), aber noch viel schlimmer ist es, wenn bei diesen Positionen, die bereits so weit im (Buch)Gewinn lagen, ein (Buch)Verlust entsteht. Dieser Verlust kann sich negativ auf mein monetäres und psychisches Kapital auswirken. Einfach die Aktie zu halten und zu hoffen, dass sich der Kurs wieder erholt, ist keine Strategie, sondern Zocken.
Bei Verlustpositionen arbeitet die Mathematik gegen den Investor/ Trader!
Warum es wichtig ist, einen Plan für seine Loser-Positionen im Depot zu haben, zeigt folgendes Beispiel:
„How you handle a losing position makes you a winner in the market.“
Stan Weinstein
Bei Verlusten arbeitet leider die Mathematik gegen uns. Ich denke, die meisten kennen die nachfolgende Tabelle, aber ich finde es immer wieder gut, sich das vor Augen zu führen:
Verlust | benötigter Gewinn für Break Even |
10% | 11% |
20% | 25% |
50% | 100% |
90% | 900% |
Je tiefer man im Verlust ist, desto schwieriger wird es auch, wieder herauszukommen. Man weiß nie, wann der betreffende Wert einen Boden gefunden hat. Und es nagt auch an der Psyche, wenn man eine Aktie im Portfolio hat, die -40% oder gar noch mehr unter Wasser steht. Wie sich das anfühlt, habe ich bei dem eingangs beschriebenen Beispiel mit der Aktie von VIG selbst erfahren.
Daher ist es meiner Meinung nach essenziell, eine umfassende Strategie zu haben, die nicht nur die Kriterien für den Kauf, sondern auch für den Verkauf abdeckt.
Zu einer umfassenden Strategie gehören unter anderem:
- die Aktienselektion (z.B. über Fundamentalanalyse),
- die Definition eines guten Einstiegszeitpunktes (z.B. über Stage Analysis)
- die Definition eines Ausstiegszeitpunktes (Stopp Loss), wo ich meinen Grund, warum ich die Aktie gekauft habe, als invalide ansehe
- die Definition meines maximalen Verlustes, den ich erleide, falls das Investment nicht funktioniert
- die Definition eines Ausstiegszeitpunktes für den Fall, dass das Investment nach Plan verläuft (Gewinnmitnahmen bzw. Teilverkäufe)
Wie man diese Punkte definiert, ist von Person zu Person unterschiedlich. Hier gibt es viele Gestaltungsmöglichkeiten, die man auf den subjektiven Risikoappetit „zuschneidern“ muss.
Was man von erfolgreichen Tradern und Investoren aber immer wieder hört, ist das konsequente Umsetzen eines Risikomanagements und das Verwenden eines Stopp Loss. Der Stopp soll mich auch vor dem bereits erwähnten Kardinalfehler an der Börse bewahren – dass aus einem kleinen Verlust ein großer wird. Wie man Stopps setzen kann, ist ein komplexes Thema und Tino hat dazu einen sehr informativen Blogartikel gemacht.
Am Ende meines Artikel findet ihr einige Empfehlungen von mir zu Autoren, die sich mit diesem wichtigen Aspekt detailliert auseinandersetzen und die mir bei dem Thema „Risikomanagement“ weitergeholfen haben.
Eines muss ich hier noch anmerken. Fundamentalanalyse gibt mit keinerlei Informationen über einen guten Einstiegs- oder Ausstiegszeitpunkt bei einer Aktie. Das kann man nur mit Hilfe der Technischen Analyse bewerkstelligen.
Verlustpositionen: Die Opportunitätskosten meines Investments
Bleiben wir noch kurz bei einem Performance-Aspekt. Eine Aktie in einem Drawdown zu halten, verursacht Opportunitätskosten im Vergleich zu Cash oder im Vergleich zu anderen Aktien, die im selben Zeitraum im Kurs steigen. Mein Kapital ist eine begrenzte Ressource und es soll dort „arbeiten“, wo es am effizientesten ist und die höchste Rendite erzielt.
Ich denke, man darf auch die Emotionen nicht unterschätzen, die ins Spiel kommen, wenn man eine Verliereraktie im Depot hat. Man analysiert dann Bilanzen, liest Analysten-Kommentare, freut sich an optimistischen Kurszielen. Kurz gesagt, man versucht sich das Investment „schön“ zu reden. Man klammert sich förmlich an eine Aktie wie an eine schlecht laufende Beziehung.
Was aber dabei passiert, ist, dass in der Zwischenzeit vielleicht schon ein neuer Bullenmarkt begonnen hat und die neuen Leader dieses Bullenmarktes zu neuen Hochs stürmen. Auch deshalb ist es wichtig, sich nicht emotional an Underperformer zu binden, weil man damit Gefahr läuft, die neuen Top-Performer nicht im Depot zu haben.
„Aber die Aktie wird sich wieder erholen. Diese Schwankungen gehören dazu.“
unbekannt
Ich habe diesen Satz so oft gehört und ich glaube, er wurde mittlerweile so oft durchgekaut und wiedergegeben, dass man ihn wahrscheinlich für ein ungeschriebenes Gesetz hält. Leider gibt es unzählige Beispiele, wo sich eine Aktie nicht mehr erholt hat.
Dazu möchte ich die 50/80 Regel von Mark Minervini zitieren. Diese besagt, dass wenn ein Marktleader ein signifikantes Top erreicht, dann besteht eine 50% Chance, dass der Kurs um 80% fällt und eine 80% Chance, dass der Kurs um 50% fällt.
Ein Marktleader ist nun zum Beispiel eine Microsoft oder eine Apple – also Firmen mit bewährtem Geschäftsmodell und nachhaltigen Gewinnen. Auch die Aktien solcher Unternehmen können einen hohen Drawdown erleiden und benötigen vielleicht Jahre, bis sie wieder den ursprünglichen Einstandskurs des Investors erreicht haben. Ich sage nicht, dass es genau diese beiden Blue Chips erwischen wird, aber diese Möglichkeit sollte man im Hinterkopf haben.
Im Falle des Aktienmarktes sehen wir das an den massiven Wertverlusten, die im „High Growth“ Segment schon 2021 eingesetzt haben und sich dann auf andere Sektoren ausgebreitet haben. Viele Werte haben 80% und mehr im Vergleich zu ihren All Time Highs nachgegeben (z.B. Palantir, Fastly, Docusign).
Die Erwartungshaltung bei einem Investment
Ich möchte zum Schluss auf die Erwartungshaltung bei einem Investment eingehen. Eine Aktie einen Drawdown hindurch zu halten, impliziert eine ganz konkrete Erwartungshaltung – nämlich die, dass der Kurs wieder steigen wird. Warum sollte ich sonst die Aktie halten? Aber eine derartige Erwartung an den Markt zu stellen, ist meiner Meinung nach gefährlich. Der Markt macht, was er will.
In den letzten 13 Jahren waren wir als Aktionäre von der expansiven Geldpolitik verwöhnt, die im Grunde genommen einen säkularen Bullenmarkt gestützt hat. Dieser Bullenmarkt hat viele Fehler bei Anlegern verziehen. Nun fällt dieser Treibstoff weg, da die Zentralbanken – allen voran die FED – durch die hohe Inflation gezwungen sind, ihre Geldpolitik zu straffen. Und als Konsequenz werden viele Aktien ihre Höchststände nicht mehr so schnell wiedersehen.
Meine Empfehlungen zum Abschluss!
Mir ist bewusst, dass ich mich hier thematisch sehr allgemein gehalten habe. Ich denke, jede Strategie ist etwas ganz Persönliches und es gibt viele unterschiedliche Herangehensweisen. Wichtig ist jedoch, dass man einen umfassenden Plan hat. Leider wird dabei in der Praxis viel zu oft das richtige Verkaufen vergessen. Verkaufen als Prozess gehört zum Plan dazu. Man muss das Rad dabei nicht neu erfinden, da es so viele gute Quellen zu diesem Thema gibt.
Besonders empfehlen kann ich:
Bücher
- Mark Minervini: „Trade Like a Stock Market Wizard“; „Think and Trade Like a Champion“
- William O´Neil: „How to Make Money in Stocks”
- Stan Weinstein: Secrets for Profiting in Bull and Bear Markets“
Social Media
- Julian Komar: @BlogJulianKomar
- Jack Corsellis: @JackCorsellis
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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Danke dir für diesen wichtigen Beitrag! Ich hoffe, dass er Denkanstöße gibt, wie man mit Verlustpositionen im Depot umgeht. Das betrifft neue Marktteilnehmer genauso wie erfahrene. Wie man mit Verlustpositionen umgeht, ist essentiell für langfristigen Erfolg. Ergänzend möchte ich anmerken, dass dieser Denkanstoß auch für Dividendenaktien gilt. Auch hier kennt keiner die Kursentwicklung der nächsten 10 Jahre. Und Dividenden trösten m.M.n. nur teilweise, wenn die dazugehörige Aktie mit 30% Buchverlust im Depot liegt. Eine sehr gute Ergänzung zu meinem Artikel über Stoppkurse.
Klasse Artikel, Emanuel!
Tino, der aufmerksame Leser deines Blogs, Hörer deines Podcasts, aber auch Zuschauer der YouTube Sendung Börsen Bunch TV, erkennt hoffentlich die Zusammenhänge. Es gibt so viele kleine Stellschrauben, die man individuell für sich einstellen kann. Ob Trader oder Investor (die Amis unterscheiden hier übrigens nicht so extrem, wie wir in Deutschland), die Märkte funktionieren für jeden immer gleich. Der Markt hat keine Ahnung, wann man die Aktie gekauft hat und es ist ihm auch egal, wie lange man sie halten will.
Wer deine Aussagen, und die genanten Quellen verfolgt, der wird am Ende feststellen, dass es tatsächlich alles ein „großes Ganzes“ – und vor allem auch Sinn – ergibt. Am Anfang scheint es ein Wirrwarr an Informationen zu sein und jeder erzählt irgendwas anderes. Wer sich nicht entmutigen lässt und mitdenkt, der wird aber irgendwann genau zu dieser Erkenntnis kommen.
Bitte mach weiter so!
Danke, lieber Florian, für deinen Kommentar und generell für deinen Support. Ich verfolge deine Aktivitäten mit genauso großem Interesse und habe mir da auch schon die ein oder andere Anregung geholt. Du fasst das Ganze gut zusammen – es ist alles ein großes Ganzes im Börsengeschäft und es geht letztendlich bei allen Handlungen dort immer um die gleichen Dinge, die es zu beachten gilt. Herzliche Grüße an dich und viel Erfolg! Tino