Jesse Livermore war der größte Spekulant in den ersten zwei Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts. Er verzeichnete unglaubliche Gewinne auf der einen Seite und handelte andererseits mehrere Konten in die komplette Liquidation. Livermore war der erste Spekulant, der auf Preisbewegungen achtete und ein Trendfolge-System etablierte.
Jesse Livermore kam früh in Kontakt mit der Börse über die sogenannten „Boiler Rooms“. In schmierigen, kleinen Hinterzimmern wurde dort das betrieben, was heute unter OTC („over-the-counter“) bekannt ist. Spekulanten handelten dort auf eigene Rechnung Wertpapiere, die an offiziellen Handelsbörsen nicht gehandelt wurden. Es ist klar, dass es sich dabei nicht gerade um Aktien von Unternehmen aus der ersten Reihe handelte.
Vorher hatte Livermore bereits bei verschiedenen Brokern als „Schreiber“ von Kursnotierungen gearbeitet. Da war er noch nicht einmal 18 Jahre alt. Er lernte bei diesen Jobs aber einige grundlegende Dinge darüber, wie Börsenhandel funktioniert und auf was man als Spekulant achten sollte.
Er beobachtete vor allem die Kursnotierungen, die über den Ticker in die Büros der Broker und in die Boiler Rooms kamen. Er lernte, diese Kursnotierungen der einzelnen Aktien zu „lesen“ und mit der Nachfrage auf der Käufer- und der Verkäuferseite in Verbindung zu setzen, die in den Orderbüchern der Makler festgehalten wurden. Das war das, was heute unter dem Begriff „Price Action“ bekannt ist.
„Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass die meisten Gewinner-Trades von Anfang an im Gewinn lagen.“
Jesse Livermore
Er erkannte auch, dass tägliche Schwankungen bei Kursnotierungen so lange nicht relevant sind, bis sie einen eindeutigen Trend in eine Richtung starten.
„Ich denke, es war ein langer Schritt in meiner Handelsausbildung, als mir endlich klar wurde, dass das große Geld nicht in den einzelnen Kurschwankungen verdient wird, sondern in den großen Bewegungen. Man muss nicht nur das Band lesen (die täglichen Kursnotierungen, Anm.), sondern den gesamten Markt und seinen Haupttrend.“
Jesse Livermore
Durch diese Erfahrungen wurde Jesse Livermore ein früher Innovator im Börsenhandel. Er gilt als einer der ersten Händler, der einen Handelsplan und ein Handelssystem für sich erstellte. Er erfand im Grunde genommen den Handel mit der sogenannten „Priceaction“ und die Trendfolge im frühen 20. Jahrhundert.
„Ein umsichtiger Spekulant streitet niemals mit dem Markt. Märkte liegen nie falsch, Meinungen oft.“
Jesse Livermore
Jesse Livermore gewann und verlor immer in großem Stil!
In seiner Karriere als Spekulant konnte er unfassbare Gewinne verbuchen. Keiner verlor aber auch so spektakulär wie Livermore. Er brachte in kurzer Zeit sein Handelskonto in unglaubliche Höhen und zerlegte es ebenso viele Male komplett. Er hat mit den Börsencrashs von 1907 und 1929 viel Geld verdient. Es heißt, er habe mit dem Absturz von 1929 über 100 Millionen Dollar verdient (für damalige Zeiten eine unglaubliche Summe), während viele andere Spekulanten und Investoren ruiniert wurden.
Wenn man seine Handelshistorie betrachtet, dann stellt man fest, dass er sehr aggressiv vorging, wenn die Chancen auf Gewinne (long und short) groß waren. Dann ging er quasi „all in“ mit seinem Cash und nutzte auch die Margin bis zum Anschlag. Seine Vorgehensweise war sehr pragmatisch und ähnelte dem Handelsstil der heutigen Hedgefonds. Mehr zu Hedgefonds kannst du in diesem Artikel lesen. Er folgte dem Trend der Marktpreise. Dann wählte er eine bestimmte Aktie oder einen Rohstoff-Future, um ihn zu kaufen oder zu „shorten“, abhängig von seinem Preis und Umsatz und dem übergeordneten Trend. Anfangs platzierte er relativ kleine Startpositionen, um den Markt zu testen. Wenn sie in seinem Sinne anliefen und erste kleine Gewinne brachten, erhöhte er seinen Anteil signifikant. Wenn nicht, schloss er die Position. Diese Technik führte zu großen Gewinnen und kleinen Verlusten. Außerdem nutzte er das Verweilen des Marktes an kritischen Positionen. So zum Beispiel im Jahre 1907 und 1929, als die Menschen überschwänglich wegen der Märkte nahe der Spitze waren, begann er damit, den ganzen Index zu shorten. Diese Vorgehensweise wird bis heute von vielen Trauern angewendet. Ich erinnere mich an ein Live-Trading mit Birger Schäfermeier, bei dem er ohne großartige Analyse Positionen im Bund-Future eröffnete. Sein Credo: „Der Einstieg ist sekundär!“ Damit wollte er zeigen, dass ein Trade erst durch kluges Positionsgrößen- und Money-Management zum Gewinner oder Verlierer wird. Trotzdem wenden die meisten Anleger die meiste Zeit damit auf, den besten (günstigsten) Einstieg in einer Aktie oder einen Index zu finden. Dabei ist das der Teil eines Trades oder eines Investments, der die kleinste Rolle spielt.
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„Beginnen Sie erst einen Trade, wenn der Markt oder die Aktie Ihre Meinung bestätigt. Ein wenig zu spät in einem Trade zu sein, ist eine Versicherung, dass Ihre Meinung richtig ist. Mit anderen Worten: Sei kein ungeduldiger Händler.“
Jesse Livermore
Er war ein Trendfolger und konnte große Positionen auch über längere Zeit halten, sodass er sich nicht nur ein kleines Stück aus einer Kursbewegung herausschnitt wie das normalerweise Kurzfrist-Trader machen. Er war mental so stark, dass er eine größere Kursbewegung für einige Zeit mitnehmen konnte.
„Eines der hilfreichsten Dinge, die jeder lernen kann, ist den Versuch aufzugeben, das letzte Achtel einer Kursbewegung mitzunehmen – oder das erste. Diese beiden sind die teuersten Achtel der Welt. Insgesamt haben sie Aktienhändler viele Millionen Dollar gekostet, dass man damit eine Betonstraße über den Kontinent bauen könnte.“
Jesse Livermore
Diese mentale Stärke Livermores würde ich aus heutiger Sicht ein bisschen mit Sturheit gleichsetzen. Sturheit führt im guten Sinne dazu, dass man seiner Meinung treu bleibt und sich nicht irritieren lässt durch äußere Einflüsse. Diese Konsequenz und Sturheit war aber gleichzeitig seine größte Schwäche.
Welche Vorurteile und Überzeugungen du lieber nicht haben solltest, wenn du an der Börse spekulierst, kannst du in diesem Artikel über „Behavioral Finance“ lesen.
Er war selten in der Lage, seine Positionsgröße zu verringern und Gewinne zu sichern. Heute würde man sagen, dass Jesse Livermore ein schlechtes Money-Management hatte und sein Risk of Ruin viel zu hoch war. Und das, obwohl er als einer der ersten erkannte, das Verluste klein bleiben sollten.
„Von allen Fehlern beim Spekulieren gibt es nur wenige, die größer sind als der Versuch, Verluste zu verbilligen durch Nachkäufe. Verkaufe immer, was dir einen Verlust zeigt, und behalte, was dir einen Gewinn zeigt. “
Jesse Livermore
Die gleiche Aggressivität, die ihm mit seinen Spekulationen ein Vermögen brachte, führte dazu, dass er mehrere Handelskonten platt machte und immer wieder von vorn anfangen musste. Mit überschaubaren, kleineren Beträgen zu spekulieren, wie das zu Beginn für jeden Spekulanten normal ist, war seine Domäne. Es gab keinen, der ein kleines Konto so schnell „hochtraden“ konnte wie er.
Jesse Livermore zum Nachlesen: mein Buchtipp!
Wunderbar beschrieben ist die ganze Story von Jesse Livermore selbst in seinem Börsenklassiker „Reminiscences of a Stock Trader“ (deutsch: „Das Spiel der Spiele“, erschienen im Börsenbuchverlag). Meiner Meinung nach eines der besten Börsenbücher überhaupt. Leider haben es viel zu wenige gelesen.
Jesse Livermore: Regeln für Spekulanten!
- Spekulative Investments dürfen nicht zu Investitionen werden!
- Niemals eine Aktie kaufen, die gegenüber ihrem vorherigen Hoch stark zurückgekommen ist!
- Verkaufen Sie niemals eine Aktie, weil sie teuer erscheint!
- Niemals Verluste verbilligen durch Nachkäufe!
- Emotionen sind der größte Feind des Investors oder Spekulanten!
- Wunschdenken darf nicht das Handeln beeinflussen!
- Große Kursbewegungen brauchen Zeit, um sich zu entwickeln!
- Man muss nicht alle Gründe für Preisbewegungen wissen!
- Die besten Spekulanten und Investoren von heute sind möglicherweise nicht die besten in zwei Jahren.
3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Danke für diesen Einblick in die Technik von Jesse Livermore!
Sehr interessanter Artikel bzw. Buch. Den Typen kannte ich tatsächlich noch nicht. Danke für die Zusammenfassung die schön heraus gefilterten „Take aways“! 👍🏻
Sehr schöne Zusammenfassung – das kommt direkt mal auf die Bücher-Wunschliste. Danke!