Menschliche Triebe sind uns von der Natur mitgegeben. Menschen sind triebgesteuert. Daran ist nichts Schlechtes. Triebe sind Willensäußerungen und auf ein Objekt oder einen Zustand bezogen. Doch gesunde menschliche Triebe können sich leicht in ihr Gegenteil verkehren und zur Selbstsabotage führen. In diesem Artikel geht es um die Aggressivität beim Investieren und Traden und wie diese dazu führt, dass eine große Mehrzahl der Marktteilnehmer auf lange Sicht an der Börse verliert.
Menschliche Triebe sind uns von der Natur mitgegeben. Wir lassen uns von Leidenschaften und Ängsten mitreißen. Aber diese menschlichen Triebe sind (leider) nicht direkt sichtbar und nicht messbar. Sie äußern sich ausschließlich in Handlungen.
Wenn man sich ein bisschen mit der Psychoanalyse Sigmund Freuds beschäftigt, stößt man irgendwann schnell auf die Aggressivität. Nach Freud ist Aggressivität kein menschlicher Trieb im eigentlichen Sinne, sondern eine Mischung aus Libido und Destrudo, also Liebe und Destruktion. Beide Triebe wirken gleichzeitig und sind gerichtet auf ein Objekt. Um dieses Objekt oder diesen Zustand zu erreichen, unternimmt der Mensch bestimmte Handlungen.
Beim Trading ist diese Mischung aus Libido und Destrudo besonders gefährlich, weil die meisten Trader allein vor ihren Monitoren sitzen und mit einer Unzahl an Entscheidungen konfrontiert sind und entsprechend viele Wahlmöglichkeiten haben. Je kleiner die Zeiteinheit, in der gehandelt wird, umso größer die Anzahl an Entscheidungen, mit denen das Gehirn und die menschlichen Triebe konfrontiert sind. Das ist ungefähr so, als würde man einen Rennwagen permanent im maximalen Drehzahlbereich fahren. Lange geht das nicht gut. Es kommt zu einer Überlastung des Systems, sprich des Gehirns.
Menschliche Triebe wie Aggressivität und Selbstsabotage sind schlechte Ratgeber an der Börse!!
In dieser Umgebung kann es schnell zu Aggressivität kommen. Warum? Einerseits richtet der Trader seine Libido auf das, was er tut. Er liebt das Trading und alles, was damit zusammenhängt. Er liebt auch die Aktie, die er gerade gekauft hat. Sonst hätte er sie ja nicht gekauft. Allerdings kommt unweigerlich Destrudo dazu – zuerst einmal nur nach außen gerichtet. Was bedeutet das? Der Zweck der Handlungen des Traders ist es, Geld zu verdienen. Da die Börse aber ein Nullsummenspiel ist, muss er dieses Geld einem anderen Börsenteilnehmer wegnehmen. Dafür muss er in Bezug auf den anderen Marktteilnehmer destruktiv sein. Er liebt das, was er tut und er möchte jemand anderem schaden. Libido und Destrudo.
Aggressivität ist die Vermischung dieser beiden Triebe. Das Gefährliche daran ist der Moment, wenn es für den Trader nicht gut läuft. Wenn er Verluste macht. Dann kann sich Destrudo nach innen richten und seine Handlungen beeinflussen. Sein Puls schlägt schneller, sein Blutdruck steigt, sein Fokus verengt sich, sodass er ausgleichende Faktoren nicht mehr wahrnimmt.
Es ist wie bei einem Radrennen: Du willst unbedingt den Typen vor dir erwischen, der gerade weggefahren ist. Du gehst aus dem Sattel und trittst in die Pedale. Du setzt deine ganze Kraft ein, um ihn wieder einzuholen. Du siehst nur sein Hinterrad, darauf fokussierst du dich. Das ist dein Ziel. Was du nicht siehst, sind die ganzen anderen Dinge, die diese Situation umgeben. Dass der Typ gerade Probleme mit seiner Schaltung hat, dass seine Flasche leer ist und das hinter der nächsten Kurve eine lange Abfahrt kommt und du ihn dort viel leichter wieder einholen kannst als jetzt in dieser Steigung.
Auch der Trader will Verluste schnell wieder ausgleichen. Er schaut nicht mehr auf den langfristigen Chart, sondern wechselt in einen kleineren Zeitrahmen. Er mobilisiert seine komplette Energie, um mit dem nächsten Trade alles wieder ins Lot zu bringen. Er blendet völlig aus, dass er in seinem Leben noch hunderte Trades machen wird. Jetzt konzentriert er sich nur auf diesen einen Trade, als würde die Börse morgen für immer schließen.
Wenn menschliche Triebe auf diese Art wirken, bleibt das nicht ohne Folgen für das Handeln. Die Folgen für den Trader sind:
- zu voreiliges Agieren (also das Antizipieren eines Signals, BEVOR die Bestätigung für dieses Signal vom Markt kommt)
- seinen Tradingplan missachten (zum Beispiel, indem er seine übliche Positionsgröße erhöht oder die Stopps weiter weg legt)
- das berüchtigte Overtrading, also eine Vielzahl von Trades machen, um die Verluste wieder auszugleichen.
All das führt in den meisten Fällen zu noch höheren Verlusten.
Menschliche Triebe: Warum die meisten Marktteilnehmer an der Börse verlieren!
Warum tritt dieses Verhalten bei Tradern und Hobby-Investoren besonders häufig auf? Warum verlieren also 90 % dieser Marktteilnehmer langfristig Geld an der Börse? Weil ihnen das Korrektiv der Gruppe fehlt! Ein professioneller Händler agiert in der Regel in einem Team. Er bespricht seine Trades mit den anderen Händlern, bevor er sie eingeht. Damit werden automatisch andere Sichtweisen in den Entscheidungsprozess einbezogen. Trading ist hier ein systematischer Prozess.
Diese systematische Vorgehensweise fehlt dem Privatanleger in den meisten Fällen. Nur wenige haben einen Kontroll-Mechanismus in ihr eigenes Tun integriert, arbeiten nach festgelegten Kriterien in einer Checkliste und können psychologische Fallen wie den Endowment-Effekt (Besitz-Effekt) umgehen.
Beim Endowment-Effekt messen wir Dingen, in unserem Beispiel Aktien, die wir besitzen, einen höheren Wert zu als denen, die wir nicht besitzen. Die Folge davon ist, dass wir länger an diesen festhalten. Weiterhin gibt es den Bestätigungs-Effekt. Dieser sorgt dafür, dass ich mir ausschließlich Informationen suche, die meine ursprüngliche Entscheidung bestätigen. Widersprüchliche Informationen werden dabei ignoriert!
Diese Vorlieben oder Bias üben einen großen Einfluss auf unser Verhalten aus. In diesem Artikel habe ich eine Übersicht über die verschiedenen Bias beim Trading/ Investieren beschrieben.
In den sozialen Medien kann man sehr gut die Einflüsse dieser Bias erkennen. Regelmäßig gibt es Lieblingsaktien, die durch mehrfaches Kopieren und durch die Verbindung mit der Person, der ich schon länger folge, zu einem Massenphänomen werden. Auf einmal hat gefühlt jeder diese Aktie im Depot. Und jeder sucht natürlich nach Gründen, warum diese Aktie die beste der Welt ist. Vor allem derjenige, der die ganze Welle losgetreten hat, geht hier meist mit schlechtem Beispiel voran. Es gibt kaum Posts, in denen Social Media-Akteure ihre Fehler publik machen. In 99 % der Posts geht es ausschließlich um Aktien, die derjenige gerade gekauft hat. Wie sich die Investition dann im weiteren Verlauf entwickelt hat, welche Gedanken derjenige hat, wenn er merkt, dass seine Entscheidung doch nicht so gut war, das erfährt man selten.
Menschliche Triebe beeinflussen deine Handlungen an der Börse: Wut, Enttäuschung, Overtrading, Verbilligen!
Das Interessante daran ist, dass es sich bei den sozialen Medien zwar um gruppendynamische Aktivitäten handelt, sie aber keinerlei korrektive Wirkung haben. Man ist zwar vernetzt, aber jeder agiert letztendlich allein. Weshalb die oben beschriebenen Abläufe der Aggressivität mit voller Wucht eintreten: Wut, Enttäuschung, aktiveres Handeln, Nachkaufen der im Wert gefallenen Aktie (Verbilligen) und Festhalten an der ursprünglich getroffenen Entscheidung für diese Aktie, obwohl das Gegenteil der Grundidee eingetreten ist (denn die Aktie ist gefallen oder die Rahmendaten haben sich verändert).
Der kluge Investor achtet auf die Faktoren, die er aktiv beeinflussen kann!
Wie kann man diesem Dilemma entkommen? Es sind die oft genannten Dinge, die wir beachten sollten. Es sind die Dinge, die wir aktiv beeinflussen können. Der Kurs einer Aktie gehört nicht zu diesen Dingen. Es handelt sich um die Dinge, die in einem schriftlich notierten Plan stehen sollten.
- Klare, messbare Kriterien aufstellen, die für ein Investment in diese Aktie/ ETF usw. sprechen!
- Positionsgröße beachten! Lieber öfter kleine Positionen handeln als wenige große!
- Diversifikation im Depot beachten (maximal 25 Positionen) und möglichst nicht-korrelierte Werte halten!
- Nur Geld einsetzen, auf das man im schlimmsten Fall jahrelang verzichten kann!
- Konkrete, messbare Kriterien für einen Ausstieg aus der Position festlegen. Das kann ein bestimmter Kursrückgang sein, eine Dividendenkürzung/ -streichung, eine Gesetzesänderung, die das Geschäftsmodell beeinflusst usw.
Diese Aufzählung klingt langweilig, aber nur so schützt man sich vor Aggressivität beim Trading/ Investieren. Denn Aggressivität kann hier nur bedeuten, dass der Marktteilnehmer aggressiv gegen sich selbst wird. Und das führt zur verzerrten Wahrnehmung und entsprechend überzogenen Reaktionen auf diese Wahrnehmungen und zur Selbstsabotage.
Selbstsabotage ist im Trading-Bereich gar nicht so selten anzutreffen. Es handelt sich dabei um eine psychologische Falle, in die sich der Trader bringt und die er sogar genießt – auch wenn sich das völlig merkwürdig anhört. Worum geht es genau?
Menschliche Triebe: Selbstsabotage behindert dein persönliches Wachstum!
Aussagen wie „Das kann ich sowieso nicht“ oder „Das ist nichts für mich“ oder „Wer weiß, ob das gut geht?“ sind gefährliche Gegner für deine Pläne und Vorhaben. Sie sorgen dafür, dass du dich klein machst und in deiner Komfortzone bleibst. Passivität ist eine Form der Selbstsabotage. Übersteigerte Aktivität ebenso.
Selbstsabotage basiert auf evolutionär geprägter Angst. Angst im evolutionären Zusammenhang definiert war immer gut. Jahrtausende hindurch hat der Mensch gelernt, dass Angst immer in Zusammenhang steht mit Gefahr. Gefahr ist schlecht und Gefahren will sich keiner freiwillig aussetzen. Dieser Mechanismus hat unter anderem dafür gesorgt, dass der Mensch sich immer weiterentwickeln konnte und letztendlich als großer Gewinner aus dem Wettbewerb in der Natur hervorgehen konnte.
Der Nachteil ist, dass Angst durch diese lange Zeit der Übung zu einem Teil unserer Denkweise geworden ist. Dadurch hat der Mensch verlernt, Wagnisse einzugehen. Wenn Angst als Hemmnis wirkt, wird weniger riskiert. Wenn weniger riskiert wird, schwindet die Neugier auf Neues. Im bekannten Terrain lebt es sich bequem und relativ angstfrei. Das Dilemma ist, dass der Mensch sich nicht weiterentwickeln kann, wenn er in seiner persönlichen Komfortzone verharrt.
In diesem Zusammenhang ist Angst definitiv schlecht. Der Status quo wird höher bewertet als die Chance, Neues zu entdecken. Da Angst unterbewusst so stark wirkt und jeder diesen Zustand vermeiden will, kommt es zur Selbstsabotage. Das bedeutet: Jemand fängt etwas Neues an und probiert etwas Neues aus, will aber eigentlich gar nicht, dass das funktioniert und gut geht. Das ist klassische Selbstsabotage. Er hat in seinem Denken von vornherein sein persönliches Scheitern antizipiert. Aus Angst. Weil er so an die Sache herangeht, scheitert sie in den meisten Fällen dann auch.
Angst muss „verlernt“ werden. Nur so kann Platz geschaffen werden für neue Erfahrungen!
Wie verlernt man am besten Angst? Indem man sich neuen Reizen aussetzt und sich neuen Herausforderungen stellt. Das können die kleinsten Dinge sein. Denn auch diese trainieren uns, Angst zu verlernen. Wer offen ist für neue (praktische) Erfahrungen, wird in der Folge immer weniger Selbstzweifel und Ängste haben. Es ist logisch, dass diejenigen, die ständig etwas Neues ausprobieren, immer mehr Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten aufbauen und die eigenen Selbstzweifel konstant minimiert werden. Es heißt nicht umsonst: „Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben!“
Wachsen ist hier beinahe wörtlich zu nehmen. Wer Selbstvertrauen zu sich selbst hat, wird größer, stärker und sicherer. Jede gemachte Erfahrung ist quasi ein Power-Shot, der dich für die nächste Herausforderung motiviert. Eins kommt dazu: Wer in diesem Modus der permanenten Herausforderung lebt, dem gelingt mit der Zeit immer mehr. Er wird schneller und besser, weil seine Fähigkeiten und Kenntnisse wachsen und weil diese praktisch erprobt werden. Man nennt das auch „implizites Wissen“ oder emotionale Intelligenz. Bei Daniel Kahneman ist es das „schnelle Denken“ – intuitiv, spontan und auf gemachten Erfahrungen beruhend, mit denen aktuelle Situationen blitzschnell verglichen werden. Die getroffenen Entscheidungen sind dann meistens sogar besser als die sorgfältig geprüften. Mehr dazu kannst du in meinem Artikel über meine Learnings aus Daniel Kahnemans Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ lesen.
Wer so lebt und dem Leben positiv begegnet, indem er das tut, was ihm Spaß macht und was seine Persönlichkeit wachsen lässt – für denjenigen ist „Selbstsabotage“ irgendwann kein Thema mehr.
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