Passives Investieren in ETFs ist seit Jahren auf dem Vormarsch. Immer mehr Produkte auf immer mehr Indices sind im Angebot. Es handelt sich schon längst nicht mehr um die klassischen Indices wie den DAX oder den S&P 500. Es werden auch Indices „erfunden“, um einen ETF darauf zu begeben. Viel Auswahl – der Anleger hat den Überblick schon längst verloren.
Es gibt genügend Argumente für passives Investieren in ETFs an den Finanzmärkten. Aber gibt es auch genügend Argumente dagegen? Passives Investieren in ETFs folgt der Annahme, dass irgend jemand extern und irgendetwas extern die Sache regeln wird und das passives Investieren in ETFs die sorgloseste und einfachste Methode ist, um reich zu werden.
Tendenz zur Passivität bedeutet, Entscheidungen nicht selbst zu treffen, sondern anderen zuzuordnen, die sie in einem guten Sinne dann für den Einzelnen treffen werden. Aber persönliche Verantwortung abgeben ist problematisch. Denn es geht ja nicht nur um Finanzen und um die Aktienmärkte.
Es geht auch um das eigene individuelle Leben. Es geht um Berufswahl, um die Wahl der richtigen Schule für die Kinder, um persönliche Zufriedenheit, um eine gute körperliche und mentale Gesundheit. Es geht auch um Natur und um Verkehrspolitik. Es geht um vieles.
Die Entscheidungen für all diese Bereiche sollten von jedem Einzelnen aktiv getroffen werden. Trotzdem ist die Tendenz zu erkennen, dass irgendwelche weit entfernten Institutionen oder Organisationen das schon irgendwie im besten Sinne aller regeln werden?
Der Optionshändler Tom Sosnoff hat in einem Interview erklärt, dass er an passiven Investments vor allem bemängelt, dass sie dazu führen, dass man keine Verantwortung für seine finanziellen Entscheidungen übernimmt und damit einer Low Risk Einstellung geholfen wird bei den meisten Anlegern.
Das ist noch nicht einmal schlimm, denn die meisten Privatanleger haben in letzter Konsequent keine Ahnung, wie Finanzmärkte und Finanzinstrumente überhaupt funktionieren. Einige wissen noch nicht einmal Bescheid über ihre Investments. Jeder kann gerne den Elevator-Test machen… und den Zweck seines Handelns beim passiven Investieren in ETFs in 60 Sekunden erklären!
Passives Investieren fördert die Einstellung, dass man als Anleger nichts wissen muss über die Komplexität bei der Geldanlage.
Passives Investieren in ETFs: Märkte steigen immer?
Beim passiven Investieren in ETFs und damit der Spekulation auf künftige Gewinne in Indices setzen wir komplett darauf, dass der Index, auf den der ETF notiert ist, steigt. Das war zugegebenermaßen in der Vergangenheit oft der Fall. Aber es gab auch Perioden, wo das nicht funktioniert hat. Einige dieser Perioden waren sehr nervenaufreibend. Es gab Perioden, wo der Index 20 Jahre lang im Minus notierte.
Ist es wirklich schlau, passiv zuzusehen, wenn die Investition 20 Jahre lang seitwärts tendiert? Hält es der normale Privatanleger überhaupt mental aus, 20 Jahre lang zuzusehen mit stoischer Ruhe, wie sein ETF quasi auf der Stelle tritt? Einige Gedanken zum Marktzyklus kannst du hier lesen.
Was mir auffällt ist, dass im Zusammenhang mit dem Investieren in ETFs kaum jemand nach dem Risiko fragt. Warum nicht? Weil es keins gibt? Nur weil niemand über Risiken spricht, kann es sie trotzdem geben. Und an den Finanzmärkten gibt es keine Investition oder Spekulation ohne Risiko. Wer das behauptet, träumt. There is no free lunch! Bei ETFs ist das nicht anders.
Risiko bedeutet also nicht nur Risiko in einem spezifischen Sinne, sondern Risiko bedeutet auch eine Tendenz zur Nicht-Verantwortung für sein Handeln. Nach einem Jahrzehnt der Sorglosigkeit und Zügellosigkeit (Zentralbanken und Anleger) ist Eigenverantwortung den meisten Menschen quasi abgewöhnt worden. Es wurde verlernt.
Die neue Anleger-Generation hält die letzten zehn Jahre für die neue Normalität. Im historischen Vergleich ist es aber eine absolute Ausnahme, was in den letzten zehn Jahren passiert ist. Das was in den letzten 200 Jahren an den Finanzmärkten passiert ist – das ist Normalität. Die letzten zehn Jahre sind eher abnorm.
Ist es möglich, dass wir in 20 Jahren rückblickend sagen werden, dass die passive Anlage in ETFs möglicherweise nicht so gut funktioniert hat wie gedacht?
Ich finde die Frage zulässig, aber beantworten kann ich sie natürlich nicht. Aber skeptisch das aktuelle Umfeld mit den vorhandenen Finanzinstrumenten zu beobachten, kann meiner Meinung nach kein Fehler sein.
Ich habe gelernt, dass sich Umstände und konkrete Dinge ziemlich schnell ändern können. Die ganzen Jahre an der Börse habe ich oft gedacht: „Das ist es jetzt. Besser kann es nicht werden. So kann es bleiben!“ Und dann war es doch nicht so gut. Warum sollte sich nicht auch das Paradigma der passiven Anlage in ETFs ändern können?
Wir hinterfragen eigentlich alles. Ob das die Nebenkosten für die Wohnung sind oder die Steuerpolitik oder die neuste Errungenschaft des Nachbarn, der sich ein neues Auto gekauft hat. Wir interessieren uns dafür. Wir haben zu allem eine Meinung. Hinterfragen wir auch das passive Investieren in ETFs?
Es gibt keine negativen Argumente zu ETFs, und deshalb hinterfragt man diese Art von passivem Investment nicht. Vielleicht ist es eine Art Framing? Weil es keine negativen Kommentare zum passiven Investieren in ETFs gibt, ist diese Investition grundsätzlich positiv? Ist es schlau, Dinge nicht zu hinterfragen?
Passive Investoren können nicht Risiken kontrollieren, sie lassen sie auf sich zukommen.
unbekannt
Nicht immer ist es schlau, passiv zu sein. Nicht immer ist der richtige Zeitpunkt, passiv zu investieren. Die vergangenen 12 Jahre sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass passives Investieren auch Risiken beinhaltet.
Der Kurs des ETF muss zwingend dem Index folgen. Der Index wird meistens von den Futures auf den Index gesteuert. Wenn ein ETF den Index physisch abbildet, dann führt ein Kursrückgang im Index dazu, dass Positionen verkauft werden müssen. Bei einem Sell off von Aktien im Index kann es zu einer Kaskaden-artigen Selbstverstärkung kommen. Der ETF kommt bildlich gesprochen gar nicht mehr hinterher, so viele Aktien zu verkaufen, wie er müsste. Es muss ja auch Käufer geben für Aktien, die verkauft werden. Ohne Käufer fällt der Kurs einfach weiter und zwar so lange, bis ein Handel in der Aktie/ den Aktien stattfindet.
Ein Sell off kann sich in so einer besonderen Situation von selbst verstärken – durch die ETFs! Weil der ETF den Kursen der einzelnen Aktien und damit dem Index folgen muss, werden immer mehr Aktien am Markt angeboten. Das ist die Situation, von der Nassim Taleb und Michael Burry sagen, dass der Notausgang zu klein ist für die ganzen Leute, die aus dem Kino rennen wollen.
„Der Markt ist wie ein großes Kino mit kleiner Tür. Einen Trottel erkennt man am besten daran, dass seine Aufmerksamkeit der Größe des Kinosaals und nicht der Größe der Tür gilt.“
Nassim Nicholas Taleb , Skin in the Game
Eigenverantwortliches Entscheiden und Handeln sollte bei der Vermögensplanung nicht delegiert werden. Passives Investieren in einen ETF suggeriert, dass nach dem Start der Investition nichts mehr getan werden muss. Einfach nur warten und reich werden, ist das Motto. Kritisches Nach-Denken, Reflexion und Flexibilität bleiben dabei auf der Strecke.
Der große Nachteil bei einem passiven Investment ist, dass schnell ein Gewöhnungseffekt eintreten kann. Das ist so bei Gewohnheiten. Man hinterfragt sie selten. Genau das könnte sich als das größte Risiko bei der passiven Geldanlage herausstellen. Dran gewöhnen und nicht mehr nachdenken. Es lief doch gut in den letzten zwei Jahrzehnten. ETFs sind gestiegen und die Immobilienpreise haben sich verdoppelt. So kann es weitergehen, oder? Weil es so gut lief, wird diese Tendenz kritiklos in die Zukunft fortgeschrieben. Wir geben den kürzlich stattgefundenen Erlebnissen ein höheres Gewicht als den weiter zurückliegenden. Und wir nehmen grundsätzlich an, dass diese jüngeren Erlebnisse sich linear in der Zukunft fortsetzen.
Aktiv sein heißt, Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Passiv sein heißt, Verantwortung nach außen zu delegieren. Beide Varianten haben ihre Berechtigung und ihre Zeit. Der kluge Anleger weiß, wann der Wind sich dreht.
Foto: nikita-kachanovsky by www.unsplash.com
3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hallo Tino,
interessanter Gedanke, die ETF-Anlage als in gewisser Weise entmündigend anzusehen. Ich werde immer hellhörig, wenn über etwas so viel Einigkeit herrscht, dass Kritik daran nur noch ein paar Gurus zugestanden wird. Bei ETFs habe ich aber manchmal schon genau dieses Gefühl. Ich bin eher kontra ETF, in erster Linie einfach deshalb, weil ich meinen „Besitz“ nicht in einem Finanzvehikel verpackt haben möchte, Sondervermögen usw. hin oder her. Dein (für mich) neuer Gedanke aus dem Artikel, dass uns ETF sogar entmündigen könnten, finde ich sehr interessant, zu der Schlussfolgerung war ich bislang noch nicht gelangt. Da ist was dran. Gleichzeitig ist es irritierend, denn genau diese Unmündigkeit ist es ja, die man glaubt, hinter sich gelassen zu haben, wenn man sich um das Thema Geldanlage selbst kümmert. Und trotzdem landen so viele schlaue Menschen doch bei einem ETF… Darüber werde ich noch nachdenken müssen, vielen Dank für deine Anregung.
In einem Punkt muss ich allerdings nachhaken: der Sell-Off bei einzelnen Aktien wird durch die ETFs aus meiner Sicht nicht verstärkt, denn wenn eine Aktie von 100€ auf 10€ fällt, fällt der Wert dieser Position ja gleichzeitig auch in meinem kapitalisierungsgewichteten Index/ETF. Ganz von alleine, ohne dass weitere Aktien auf den Markt geworfen werden müssten. Bei einem gleichgewichteten Index wären zugehörige ETFs beim nächsten Rebalancing sogar Käufer dieser Aktie. Oder verstehe ich da etwas falsch?
Schöne Grüße!
Vielen Dank, Marco, für deinen Kommentar. Wir müssten tief graben, um beispielsweise herauszufinden, wie ETFs (physisch) reagiert haben im Dezember 2018 oder 2020 im März. Ob es zu Preisdifferenzen zwischen ETF und zugrunde liegendem Index kam. Wahrscheinlich kommen wir nicht an entsprechende Daten. Ich vermute aber stark, dass es große Preisunterschiede gab. Und wir reden ja explizit von einer Ausnahmesituation/ Crash. Ich bin auch nicht sicher, ob sich einfach nur der Wert einer Aktie, die in dem Index und damit dem ETF enthalten ist, ändert. Ich meine, dass Michael Burry meint, dass Anleger, die den ETF halten, ihn in einer Krise rücksichtslos market verkaufen würden und das zu einer sich selbst beschleunigenden Abwärtsspirale führt. Denn diese Anleger müssen ja bedient werden mit Cash. Es könnte in so einem Fall wiederum sein, dass ETF-Anbieter Zahlungen aussetzen können – auch für längere Zeit. Beispiele aus der Vergangenheit dafür gibt es auch – zum Beispiel bei Geldmarktfonds und Immobilienfonds.Beste Grüße und viel Erfolg, Tino
Nachtrag: Wenn wir über physisch engagierte ETFs sprechen, dann halten diese wirklich die Aktien aus dem Index. Der Wert dieser Aktien orientiert sich am letzten getätigten Handel. Insofern hast du Recht, dass dann der Preis ALLER Aktien dieses Underlyings dem Preis entspricht, der zuletzt gehandelt wurde.
ABER: Der ETF braucht Liquidität, wenn er panische Anleger auszahlen will. Und dazu muss er zwingend Aktien verkaufen. Cash halten die meisten ETFs nicht – das widerspricht ja wiederum der Philosophie der passiven Anlage. Dieser „abweichende“ Charakter eines ETF im Vergleich zu „seinem“ Index ist das, worüber Michael Burry spricht und worüber man durchaus nachdenken kann.