Börsen Psychologie

Spekulation an der Börse ist der Glaube an den Gewinn!

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Spekulation an der Börse ist in erster Linie der Glaube, einen Gewinn zu erzielen. Da niemand die Kurse von Aktien vorhersagen kann, ist deshalb jedes Investment erst einmal Spekulation. Der Glaube an den Erfolg einer Spekulation beruht auf Emotionen, Erfahrungen aus der eigenen Vergangenheit und einer guten Story. Das führt dazu, dass wir nur die Entwicklungen sehen, die wir sehen wollen. 

Der Spekulant kann die kompliziertesten Indikatoren und die buntesten Linien im Chart verwenden und er kann diese Vorgehensweise rational nennen oder mit einem umfangreichen Backtesting mit Daten aus der Vergangenheit erklären – trotzdem bleibt der Glaube daran, dass er mit seiner Vorgehensweise richtig liegt, die entscheidende Triebkraft bei seiner Spekulation.

Spekulation an der Börse ist trotz quantitativen Kriterien immer emotional getrieben.

Der Glaube bei einer Spekulation an der Börse beruht trotz aller quantitativen Vorbereitung und Auswahlkriterien auf emotionalen Einschätzungen, verknüpft mit einer Vorgehensweise, die auf Erfahrungen aus der Vergangenheit beruht. Diese Vorgehensweise kann man als Tradingplan oder Investmentplan bezeichnen. Sie dient aber in der endgültigen Konsequenz nur dem Zweck, ein „besseres Gefühl“ und eine „rationale Beurteilung“ als Orientierungshilfe bei der Investition zu haben. Diese Hilfsmittel sind im besten Falle nur Filter für eine nachgelagerte Handlung.

Seien wir ehrlich: Wenn ich der Meinung bin, dass ich long bei einer Aktie gehe, weil deren Kurs den 50-Tage-GD nach oben geschnitten hat, dann basiert diese Handlungsweise letztendlich nur auf dem Glauben daran, dass die Aktie weiter steigt, weil für mich der 50-Tage-GD eine Bedeutung hat. Ich bekomme eine gewisse Sicherheit, weil ich dieses Setup mit Daten aus der Vergangenheit geprüft habe und es sich als gewinnbringend erwiesen hat. In der Vergangenheit. Ehrlicherweise müssen wir aber zugeben, dass das keine Relevanz dafür hat, was mit dem Kurs dieser Aktie in der nächsten Zukunft passieren wird.

Eine gute Story kann sämtliche Fakten überlagern!

Der Glaube bei einer Spekulation an der Börse beruht weiterhin auf einer guten Story. Am besten ist die Story, wenn sehr viele Marktteilnehmer daran glauben und diese Story weitererzählen. Mit einer guten Story bekommt meine Spekulation sozusagen einen erzählerischen Rahmen verpasst. Sie fungiert für mich wie eine Art Bestätigung und Rechtfertigung. Eine gute Story muss ich mir nur oft genug erzählen, damit ich immer mehr an sie glaube. Auf diese Weise lasse ich keine andere Möglichkeit für meine Spekulation zu. Ich sehe das, was ich sehen will. Meine Story klingt zu schön, dass sie nicht auch wahr sein könnte. Besser noch: Sie muss wahr sein, weil sie so einleuchtend und logisch klingt. Und eins ist klar: Es fällt den meisten Akteuren an den Finanzmärkten schwer, sich vom Gegenteil einer guten Story überzeugen zu lassen, zu der sie einen tiefen Glauben entwickelt haben.

Wie man als individueller Investor oder Trader den Einflüssen einer guten Story erliegen kann, hat Edward Bernays sehr anschaulich in dem sehr empfehlenswerten Buch „Propaganda“ aus dem Jahr 1928 (erschienen bei orange press) beschrieben:

„Ein Mann sitzt zum Beispiel in seinem Büro und überlegt, welche Aktien er kaufen soll. Natürlich bildet er sich ein, dass er die Entscheidung allein auf Basis seiner eigenen Urteilskraft fällt. In Wirklichkeit wird sie jedoch aus einem Gemisch von Eindrücken resultieren, die äußere Reize bei ihm hinterlassen haben, und die nun unbewusst seine Gedanken bestimmen. So kauft er die Aktie einer bestimmten Eisenbahngesellschaft, weil am Tag zuvor in der Zeitung über sie berichtet wurde und sie ihm deshalb noch besonders gegenwärtig ist, oder weil er sich an ein gutes Menü erinnert, das er in einem ihrer Schnellzüge zu sich genommen hat, oder weil das Unternehmen seine Mitarbeiter gut behandelt und als ehrlich gilt; oder weil er gehört hat, dass der Bankier J.P. Morgan auch zu den Aktionären zählt.“

Edward Bernays, Propaganda

Der Glaube bei einer Spekulation an der Börse setzt eine komplexe Gruppendynamik in Gang!

Je mehr Leute einen Glauben an die Story aufbauen, umso mehr bestätigen sie sich gegenseitig in diesem Glauben. Diese Spekulanten fungieren als homogene Gruppe und diese Gruppe ist in der Lage, eine Dynamik in ihrem Glauben an die Story über die Aktie zu entfalten, deren Wirkung man sich als Teil dieser Gruppe nicht entziehen kann. Innerhalb einer Gruppe von Gleichgesinnten, die alle an die selbe Story glauben, kann sich dieser Glaube sogar so umfassend entfalten, dass auf einmal Dinge geglaubt werden, die komplett übertrieben oder sogar erfunden sind. Wenn Menschen glauben wollen, dass etwas wahr ist, dann ist es auch wahr, selbst wenn es eine Lüge ist. Bestes Beispiel dafür ist die Wirecard-Story. Selbst als die Fakten auf dem Tisch lagen und klar war, dass der Vorstand dieser Firma über Jahre kriminell getrickst hat bei den Bilanzen, gab es in den Facebook-Gruppen und allgemein auf vielen Social Media Plattformen genügend Menschen, die einem erzählt haben, dass das alles nicht stimmt und man auf diesen gedrücktem Kursniveau beruhigt nachkaufen kann. Was viele ahnungslose Anleger auch getan haben.

Anders formuliert: Wenn man eine Lüge nur lange genug wiederholt, kann sie sogar zur Wahrheit werden. Und was komplett irrational klingt, kann auf einmal absolut rational wirken. In einer Gruppe von Gleichgesinnten kann so ein Glaube an etwas wahnhafte Züge annehmen.

„Wer annimmt, dass der Wert einer Aktie allein durch die mit den jeweiligen Zinssätzen diskontierten und um den Grenzsteuersatz bereinigten Unternehmensgewinne bestimmt wird, vergisst, dass die Menschen Hexen verbrannt haben, aus einer Laune heraus in den Krieg gezogen sind, Joseph Stalin verteidigt haben und Orson Welles geglaubt haben, als er ihnen über das Radio erzählte, dass die Marsmenschen gelandet sind.“

Jim Grant

In der aktuellen Situation an den Finanzmärkten verfestigt sich der Glaube bei der Mehrheit der Anleger, dass Aktien nicht fallen können. Die Story dahinter ist die, dass die Zentralbanken billiges Geld zur Verfügung stellen und diese Liquidität unter anderem in die Aktienmärkte fließt und dafür sorgt, dass weiterhin Aktien gekauft werden. Auch jeder noch so kleine Kursrückgang wird für Käufe genutzt (Buy the Dip). Alternativen für andere Investments gibt es in dieser Story nicht. Rendite gibt es nirgendwo anders, also bleibt nur die Spekulation darauf, dass die Kurse von Vermögenswerten wie Aktien und Immobilien für immer weiter steigen. 

Das klingt verrückt, aber diese Verrücktheit wird zur Wahrheit, weil die Masse der Anleger daran glaubt. Dazu kommt, dass niemand das absolute Hoch in einem Index oder einer Aktie voraussagen kann. Im Nachhinein sieht man immer, wann der Hochpunkt erreicht wurde, aber da wir im Jetzt unsere Entscheidungen treffen, sind wir jedes Mal überrascht, wenn irgendwann wirklich das Top erreicht wurde und es anschließend mit den Kursen abwärts ging. 

„Optimismus schießt immer über das Ziel hinaus. Das muss er auch. Der korrekte Preis eines jeden Vermögenswertes ist das, was jemand anderes bereit ist, dafür zu zahlen, denn alle Vermögenspreise beruhen auf subjektiven Annahmen über die Zukunft. Und wie ein Blinder, der nicht weiß, wo eine Wand ist, bis er dagegen stößt, können die Märkte nicht genau wissen, wie viel die Leute zu zahlen bereit sind, bis sie ein wenig zu weit gehen und sagen: „OK, im Nachhinein betrachtet war das die Grenze.“ 

Quelle:  http://www.collaborativefund.com/blog/speculation/

In einem Umfeld, in dem die Zinsen bei Null liegen und selbst eine globale Pandemie nur für einen sehr kurzen Markteinbruch gesorgt hat, sind Geschichten über das, was in der Zukunft passieren könnte, mächtiger als Fakten über das, was heute tatsächlich passiert.

Wie es funktioniert, dass Emotionen einen größeren Einfluss auf den Anleger ausüben können als Fakten, zeigt folgendes:

Die 14 Phasen der Psychologie eines Marktzyklus von Anfang bis Ende

  • 1. Unglaube: Nach einem Bärenmarkt werden die ersten Erholungen in einem neuen Bullenmarkt nicht für real gehalten. Die Anleger glauben, dass die Rallye scheitern wird. 
  • 2. Hoffnung: Der erste Schritt zu einem neuen Bullenmarkt besteht darin, dass eine Kurserholung von den Tiefstständen möglich ist und der Aufwärtstrend anhalten wird. 
  • 3. Optimismus: Der Bullenmarkt kann aufgrund des Optimismus, dass der neue Kursaufschwung real ist, einen Aufwärtstrend beginnen. 
  • 4. Glaube: Die Anleger werden beginnen, im Glauben an den Aufwärtstrend zu handeln und wieder in den Markt einzusteigen. 
  • 5. Nervenkitzel: Wenn der Nervenkitzel der Gewinne und des Geldverdienens einsetzt, dreht sich die Stimmung nach oben und die Menschen äußern ihre Bereitschaft zum Kauf. 
  • 6. Euphorie: Der Höchststand der Kurse in Hausse-Märkten wird in der Euphorie erreicht, wenn die Anleger sich für Genies halten, weil sie so lange im Markt waren, und wenn sie auf der Grundlage früherer Renditen hochrechnen, wie viel Geld sie in Zukunft verdienen werden. 
  • 7. Selbstzufriedenheit: Die Anleger glauben nicht, dass der jüngste Höchststand das Ende der Hausse war und dass der starke Rückgang nur ein kleiner Rückschlag ist, bevor neue Höchststände erreicht werden. 
  • 8. Beunruhigung: Die Anleger beginnen, sich Sorgen zu machen, da sich der Pullback zu einem langen Abwärtstrend entwickelt. 
  • 9. Verleugnung: Die Anleger beschließen, einfach im Markt zu bleiben, da sie gute langfristige Anlagen halten. 
  • 10. Panik: Die Anleger geraten in Panik und halten es für das Beste, aus dem Markt auszusteigen und das verbliebene Kapital zu retten. 
  • 11. Kapitulation: Die Angst überholt den ursprünglichen Plan mit weiter fallenden Kursen, und immer mehr Menschen verkaufen, um den Schmerz der finanziellen (Buch)Verluste zu stoppen.
  • 12. Wut: Die Anleger werden wütend auf das, was ihrer Meinung nach den Bärenmarkt verursacht hat, und auf den Verlust ihrer Gewinne aus dem Bärenmarkt. 
  • 13. Depression: Die Anleger sind deprimiert darüber, dass sie ihre Gewinne aus der Hausse zurückgeben mussten, und fühlen sich dumm, weil sie nicht zum richtigen Zeitpunkt ausgestiegen sind. 
  • 14. Ungläubigkeit: Nach einem Bärenmarkt werden die ersten Erholungen in einem neuen Bullenmarkt nicht für real gehalten. Die Anleger glauben, dass der Aufschwung scheitern und der Markt zu seinen Tiefstständen zurückkehren wird. (Quelle: Steve Burns, bei Twitter @SJosephBurns)

Anmerkung von mir: Außerdem haben die meisten Privatanleger, wenn am Punkt 14/ Ungläubigkeit erreicht ist, meistens kein Kapital mehr, um die günstigen Kurse für Käufe zu nutzen. Die Buchgewinne aus der Hausse sind schon lange pulverisiert und in guten Zeiten hat kaum jemand Cash gehalten für den Fall der Fälle. Also können in dieser sehr günstigen Phase (siehe Howard Marks zum Thema Marktzyklus: geringes Risiko aufgrund der schon erfolgten großen Korrektur und damit hohe Renditemöglichkeiten, selbst mit geringem Kapitaleinsatz) wieder mal nur die Profis und ausdauernden Börsenteilnehmer kaufen.

Zum Abschluss folgender Gedanke: Warum sind so viele studierte Betriebswirtschaftler und Unternehmensberater so schlechte Investoren? Einfache Antwort: Weil Investieren nicht das Studium der Finanzen ist. Es ist das Studium, wie Menschen sich beim Umgang mit Geld verhalten. Wie sie sich bei ihren Spekulationen mit Geld verhalten.

Dieses Verhalten basiert zu 90% auf Emotionen, Stories und Psychologie. Weil wir Menschen sind. Menschen haben Begierden, Wünsche, Hoffnungen und Ängste und sind geprägt durch ihre individuelle Sozialisation. Deshalb sind ihre Verhaltensweisen meistens irrational, um nicht zu sagen, absolut wild. Das geht so lange gut, wie es gut geht. Aber es geht nicht ewig gut.

Photo by Sorasak on Unsplash

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  • Sehr schöner Artikel! Das Verhalten mancher Anleger, als sich Wirecard langsam aber sicher zu einem Skandal entwickelte, kann ich durchaus bestätigen. Bei manchen setzte auch eine gewisse „Jetzt erst recht!“-Haltung ein, weil man es nicht wahrhaben wollte.

    Dein abschließender Gedanke gefällt mir besonders gut. Wie Morgan Housel in „The Psychology of Money“ auch schon festgestellt hat – Finanzieller Erfolg ist keine harte Wissenschaft, es ist ein Soft Skill, bei dem das eigene Verhalten wichtiger ist, als das was man weiß.

    LG
    Alex/Finanzbiber

    Antworten
    • Hi Alex, schön, dass du vorbeigeschaut hast und vielen Dank für deinen Kommentar. Wir sind uns einig – 90 Prozent der Börsenspekulation sind psychologisch bedingt. Der Rest ist Glück und ein harter Stopploss 😉

      Beste Grüße und viel Erfolg,
      Tino

      Antworten
  • Hi Tino,

    sehr guter Beitrag, der mich wieder daran erinnert dass nichts und niemand weiß, was in 10 Jahren, einem Jahr oder morgen passiert. Man trifft seine Entscheidungen immer auf Grund der Informationen, die man heute zur Verfügung hat. Ob es am Ende „gut“ geht, weiß man erst hinterher.

    Ray Dalio sagt:“ Logik, Vernunft und gesunder Menschenverstand sind Ihre besten Werkzeuge, um die Realität zu synthetisieren und zu erkennen, was zu tun ist,“ An diese Eigenschaften versuche ich mich zu erinnern, wenn ich eine Entscheidung treffen darf.

    Viele Grüße und vielen Dank für dem Beitrag ❤️
    Martin/ kapitalfux

    Antworten
    • Lieber Martin, vielen Dank für deinen sehr schönen Kommentar. Unbeabsichtigt hast du damit bereits einen Vorgriff auf einen Artikel gemacht, an dem ich gerade arbeite. Es geht darum, Entscheidungen von ihren Ergebnissen zu trennen. Was nicht leicht ist, denn wir neigen dazu, zwischen den beiden eine Verbindung herzustellen. Wie gesagt, ich schreibe den Artikel und bin gespannt auf deine Meinung dazu. Bis dahin liebe Grüße, Tino

      Antworten
      • Auf den Artikel freue ich mich sehr. Deine Buchempfehlung „Thinking in Bets“ habe ich auf der Liste, die durch BBTV und die Gespräche mit dir immer immer länger wird 😅. Viele Grüße und schönen Sonntag

        Antworten

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