Warum sind so viele Neueinsteiger an der Börse der Meinung, dass sie mit Stockpicking, also selbst ausgewählten Aktien, den „Markt“, dargestellt in einem großen Index wie dem S&P 500 oder dem EuroStoxx 50, regelmäßig und auf Sicht von Jahren schlagen können? Eine Antwort darauf könnte die Kontrollillusion sein. Etwas kontrollieren zu wollen, was nicht zu kontrollieren ist.
Wenn es um Börse und Investments geht, sprechen wir automatisch über unser Verhalten als Anleger. Damit sind wir sehr schnell bei der Psychologie und Verhaltensökonomie. Die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Tali Sharot hat in ihrem Buch „Die Meinung der anderen“ über den Zusammenhang zwischen Stockpicking und Kontrollillusion geschrieben. Wie ist sie darauf gekommen?
Das Argument derjenigen, die ihre Aktien selbst aussuchen und damit aktiv handeln, lautet meistens so: „In einem ETF oder Fonds sind ja nicht nur die Highflyer drin, sondern auch die ganzen schlecht laufenden Aktien. Also bastel’ ich mir meinen eigenen ETF und packe natürlich nur die Outperformer dort hinein.“
Abgesehen von der Frage, woher die Person ganz genau wissen will, welche Aktien die Outperformer für die nächsten Jahre/ Jahrzehnte sind, fragt man sich natürlich, ob es wirklich so einfach ist. Den Markt zu schlagen, also mit seinem selbst zusammengestellten Aktiendepot besser abzuschneiden als ein marktbreiter Index (abgebildet durch einen ETF), impliziert, dass es auch einige Marktteilnehmer mit der selben Strategie schlechter abschneiden. Nur so kann es einen Durchschnitt geben.
Eine logische Herangehensweise wäre es, wenn ich in Kenntnis dieser mathematischen Bedingung, erst einmal versuche, wenigstens genauso gut oder schlecht abzuschneiden wie der Markt bzw. Index. Das führt zu folgender Überlegung: Um den Markt zu schlagen, müsste man eigentlich nur den Markt mittels eines marktbreiten ETF abbilden. Einen ETF auf den S&P 500 zu kaufen und zu halten über Jahre, bedeutet ja nichts anderes, als immer genauso gut (oder schlecht) abzuschneiden wie der zugrundeliegende Index selbst (Gebühren und ggf. Steuern vernachlässigen wir, um es vergleichbar zu halten.). Ich würde mit dieser Strategie niemals gegenüber dem Gesamtmarkt verlieren. Ich würde allerdings auch keine Outperformance erzielen, das ist klar.
Stockpicking: Wenn dir dein Gehirn ein Schnippchen schlägt!
Was also ist der eigentliche Grund für die vielen gut gelaunten Anleger, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, Aktien selbst auszuwählen und zu kaufen? Ist es womöglich ein psychologischer Ursprung, der dieser Vorgehensweise zugrunde liegt?
Ich habe mich in der Psychologie umgeschaut, um eine andere Betrachtungsweise ins Spiel zu bringen. Bei Tali Sharot, die seit Jahren auf diesem Gebiet forscht, habe ich eine interessante Passage in ihrem Buch „Die Meinung der anderen“ (erschienen im Pantheon Verlag), gefunden. Sie erläutert darin einen wichtigen Grund für die Vorgehensweise von Anlegern, die ihre Aktien selbst aussuchen.
„Dennoch ist das Bedürfnis, die eigenen Finanzen persönlich zu kontrollieren, noch sehr ausgeprägt. Eine der Strategien, mit denen Leute versuchen, die Fäden in der Hand zu behalten, ist das Auswählen von „Einzeltiteln“. Nehmen wir dazu als Beispiel Manshu, den Schöpfer des Finanzblogs OneMint. Manshu ist selbsternannter Einzeltitelexperte. Das bedeutet, dass er sich – statt einen Finanzberater damit zu beauftragen, sein Geld zu investieren, oder sein Geld in einen Fonds zu stecken – selbst informiert und allein die Unternehmen zusammenstellt, deren Aktien er kaufen will.
„Ich suche gern selbst Aktien aus“, erklärt er, „weil ich meine Anlagen lieber selbst verwalte und genau wissen will, wo mein Geld investiert ist. Ich fühle mich nicht wohl dabei, wenn ich in Investmentfonds oder börsennotierte Fonds investiere, weil ich da keine Kontrolle darüber habe, was die Fondsmanager tun werden und von welchen Unternehmen sie wann Anlagen kaufen. Es ist, als sei ein Stockwerk zwischen mir und meinem Kapital… Ich sorge mich, was der Fondsmanager wohl als Nächstes macht.“
Da Manshu einen Finanzblog schreibt, nehme ich an, dass er mit der Fülle wissenschaftlicher Untersuchungen vertraut ist, die darauf hindeuten, dass Investoren, die ihre Anlagen selbst aussuchen und häufig damit auch handeln, im Schnitt Verluste machen. Leute, die mit selbst gewählten Aktien selbst handeln, schneiden auf dem Wertpapiermarkt sogar schlechter ab als alle anderen. Aber selbst, wenn Sie einen Fachmann die Sache für sich erledigen lassen, wird ihr Portfolio schlechter abschneiden als das von Investmentfonds und börsennotierten Fonds. Warum zieht Manshu – mit diesem Wissen gerüstet – es vor, in einzelne Aktien zu investieren, die er selbst aussucht?
Sie denken vielleicht, dass Manshu im Blick auf seine Fähigkeiten übertrieben optimistisch ist. Und tatsächlich erklärt ein übertrieben großen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten häufig, dass Menschen ihre eigenen Entscheidungen treffen. Sie mögen die Zahlen und Fakten kennen, glauben aber, dass sie es besser können als der Durchschnittsbürger. Überoptimismus spielt eine wichtige Rolle.
Beachten Sie jedoch, dass Manshu sein handeln nicht damit verteidigt, dass er glaubt, mehr Geld verdienen zu können, wenn er die Aktien selbst aussucht. Vielmehr rechtfertigt er seine Vorliebe mit emotionalen Argumenten. Sich die Aktien selbst auszusuchen, in die er investieren will, verleiht ihm das Gefühl, die Kontrolle innezuhaben; jemand anderen für sich wählen zu lassen, bereitet ihm Sorgen. Er betreibt die „Akienauslese“, um seine Besorgnis zu verringern und sein Gefühl zu stärken, Herr der Lage zu sein – unabhängig davon, ob diese Strategie sein Konto wachsen lässt oder nicht. Er möchte das Gefühl haben, dass er und niemand sonst seine Finanzen beeinflusst.“
Tali Sharot, Die Meinung der anderen, Seite 125 ff. (Pantheon Verlag)
Eine bemerkenswerte Aussage, über die es sich lohnt, zumindest nachzudenken. Sein Handeln an der Börse zu hinterfragen ist nie verkehrt. Etwas dazuzulernen auch nicht.
Das bisher Geschriebene soll nicht als Aufruf gegen das Stockpicking verstanden werden. Wer das machen will, wird wissen, was er tut. Sich genügend Gedanken gemacht haben, eine Strategie haben und genügend weit in die Zukunft geblickt haben, was seine Investments angeht. Das ist schon mal viel wert. Aber reicht das aus, um erfolgreich in einzelne Unternehmen zu investieren?
Hinterfrage deine Emotionen beim Stockpicking!
Das bisher Geschriebene soll zum Nachdenken anregen und soll auf die Risiken hindeuten, die mit Stockpicking in Zusammenhang stehen. Das bisher Geschriebene soll auch darauf hinweisen, dass man sich ganz genau beobachten muss bei seinem Handeln an der Börse, ob man nicht vielleicht einer verzerrten Sichtweise wie der Kontrollillusion unterliegt.
Fakt ist: Die Risiken bei der Auswahl von Einzelaktien sind hoch. Ich muss eine Wette für ein Unternehmen abschließen. Für Jahre. Denn die Stockpicker sind ja Investoren und keine Trader. Dabei ist es doch vollkommen logisch, dass ich bei einem großen Index wie dem S&P 500 oder dem EUROSTOXX 50 davon ausgehen kann, dass es diesen Index auch noch in zehn Jahren und darüber hinaus geben wird und – wenn das wirtschaftliche und makroökonomische Umfeld stimmt – ich eine anständige Performance erzielen kann. Nur Durchschnitt, aber immerhin..
Der Index bzw. der ETF, der den Index abbildet, umfasst viele Aktien. Das sorgt automatisch für Diversifikation. Statt einer einzigen Wette gehe ich hier eine gebündelte Wette ein. Und fliegt ein Unternehmen aus dem Index, kommt ein anderes dafür hinein. Ich muss mich um nichts kümmern. Ich verliebe mich auch nicht in einzelne Unternehmen und deren Aktien. Die Gefahr, hier der Kontrollillusion zu unterliegen, ist zu vernachlässigen.
Die Ungewissheit über künftige Entwicklungen von einzelnen Unternehmen ist größer als bei einem Index!
Bei einzelnen Unternehmen und bei den Aktien von diesen Unternehmen kann ich mir da nicht so sicher sein. In dem Zusammenhang verstehe ich auch viele Anleger nicht, die Aktiensparpläne bevorzugen. Wie funktionieren denn Sparpläne?
Man zahlt eine Summe, nehmen wir mal 100 €, monatlich als Sparplan in eine bestimmte Aktie ein. Um eine signifikante Größe bei diesem Investment zu erreichen, muss man diesen Sparplan auf jeden Fall zwei Jahre und länger durchhalten. Und damit sind wir bei einer Zeitspanne, wo ich bei einer einzelnen Aktie nicht wirklich mit Sicherheit sagen kann, dass das Investment erfolgreich sein wird bezogen auf die Gesamtrendite, die ich mir ausrechne und die ich erwarte.
Das Problematische am Aktiensparplan für mich ist aber ein anderes. Das Festhalten an diesem Aktiensparplan und damit das Festhalten an einem einzelnen Unternehmen führt möglicherweise dazu, dass ich der Kontrollillusion unterliege. Zumindest sind die Chancen dafür sehr groß. Je länger ich diesen Sparplan geplant habe, umso mehr finde ich Gründe dafür, dass das eine sehr gute Entscheidung von mir war. Ich finde diese Gründe vor allem dann, wenn der Aktienkurs mir etwas ganz anderes sagt. Ich suche dann nach Bestätigung meiner These für das Investment. Ich habe einen Zielwert für das Kapital im Kopf, dass ich per Sparplan in dieses Unternehmen investieren will. Ich habe einen festen Zeitplan dafür. Das alles hindert mich möglicherweise daran, etwas zu ändern.
Ich glaube, die Zukunft dieses Unternehmens und die Kursentwicklung der Aktie zu kennen. Wenn ich was anderes denken würde, müsste ich zugeben, dass ich mich geirrt habe bei diesem Investment. Und zuzugeben, dass man einen Fehler gemacht hat, fällt sehr vielen Börsianern schwer.
Dieser Glaube an das Unternehmen suggeriert mir, dass ich die Kontrolle über dieses Unternehmen und die positive Kursentwicklung der Aktie habe. Aber das ist nicht der Fall. Ich habe überhaupt keine Kontrolle darüber. Ich habe die Kontrolle auch nicht bei der Wertentwicklung des ETF. Aber ich habe dort zumindest eine Streuung meines Kapitals über viele Unternehmen und verknüpfe meinen Erfolg nicht nur mit einem Unternehmen.
Stockpicking: Funktioniert nur mit einem klar definierten Plan!
Wie gesagt: Es gibt viele Beispiele dafür, dass Stockpicking bei Marktteilnehmern über lange Zeitdauer funktioniert hat. Ich behaupte aber, dass es erheblich mehr Beispiele dafür gibt, dass es nicht funktioniert hat. Anleger, die also die Strategie des Stockpicking verfolgen, sollten sich zumindest regelmäßig fragen, wie groß der Einfluss von emotionalen Einflussfaktoren bei diesen Investments ist. Wer diesbezüglich einen Plan hat mit klar festgelegten Kriterien, und sich daran hält, der minimiert seine Tendenz zur subjektiven Beurteilung. Ganz frei von kognitiven Verzerrungen sind wir sowieso nicht. Wer was anderes denkt, der hat schon wieder einen starken Hang zur Kontrollillusion.
Es ist doch letztendlich eine ganz simple Frage: Wie groß sind meine Chancen auf Vermehrung meines Kapitals bei gleichzeitiger Minimierung meines Risikos a) bei einem bzw. einer überschaubaren Menge von einzeln ausgesuchten Unternehmen und b) bei einem ganzen Index, in den ich investiere und der sehr viel mehr Unternehmen umfasst?
Welche Wette würdest du eingehen, wenn du über diese Frage nachdenkst? Wie hoch schätzt du deine Chancen auf Erfolg ein – bei 10 selbst ausgesuchten Unternehmen im Depot oder bei 500? Immer dran denken – Börse ist ein Geschäft und kein Hobby.
Wenn dir dieser Artikel gefallen hat, wirst du auch meinen Artikel über Risiko und Ungewissheit mögen.
Photo by Shubham Dhage on Unsplash
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hallo Tino,
Vielen lieben Dank für Deinen neuesten Blog-Artikel, der mich sehr berührt!
Ich habe ihn nun zum dritten Mal gelesen und kann mich sehr gut mit Manshu identifizieren.
Es geht mir nicht zwingend, um eine outperformance, sondern lediglich um eine moderate Wertentwicklung bei vernünftiger Dividendenausschüttung. Aber natürlich gehe ich durch Einzelinvestments höhere Risiken ein. Daher habe ich mir eine Zielmarke gesetzt, die nun erreicht ist. Nun möchte ich den Weg der Diversifikation gehen und neben ETFs in den Optionshandel einsteigen. „Schuld“ daran bist Du! Ich danke Dir für Deine Unterstützung und die Teilung Deiner Perspektive, die mich regelmäßig zum nachdenken bringt!
Viele Grüße
Robert
Lieber Robert, die „Schuld“ nehme ich gern auf mich 😉 Danke dir für deinen Kommentar. Ich freue mich, wenn meine skeptischen Überlegungen zum Nachdenken anregen. Bis bald, liebe Grüße, Tino