Immer wenn ich in der Vergangenheit Aktien gekauft habe und mir vorgestellt habe, wohin die Kurse steigen könnten, dann habe ich mich an diesem Punkt in der Zukunft orientiert und diesen zum Ziel erklärt. Wohin diese Fixierung auf Kursziele bei Aktieninvestments führt und wie ich das inzwischen handhabe, erklärt dieser Artikel.
Die Bestimmung eines Kurszieles für die Aktie, die ich gerade gekauft habe, führt zu zwei Varianten der Kontroll-Illusion.
Kontroll-Illusion Nummer eins: Frustration darüber, dass mein Kursziel nie erreicht wurde!
Die Aktie hat es nie geschafft, dieses Kursziel zu erreichen. Das frustrierte mich. Diese Frustration führte dazu, dass ich die Situation nicht mehr adäquat einschätzen konnte. Meine Emotionen gewannen die Oberhand über meinen Plan. Ich war frustriert, weil meine Annahme über das Kursziel offensichtlich falsch war. Da ich in solchen Momenten sowieso mental etwas angeknockt war, kam noch Hoffnung mit ins Spiel. Diese Hoffnung ließ mich an der Aktie festhalten. Vielleicht schafft sie ja doch noch den Sprung nach oben?
Kontroll-Illusion Nummer zwei: Euphorie mit anschließender Enttäuschung, die Aktie zu früh verkauft zu haben!
Die andere Variante beim Festlegen eines Kurszieles war nicht minder frustrierend. Der Kurs der Aktie stieg nämlich bis zu dem Punkt, den ich mir so großartig vorgestellt hatte. Ich war so happy und die Freude und der Stolz darüber, dass ich richtig gelegen hatte, nahmen so von mir Besitz, dass ich in einen euphorischen Gefühlszustand geriet. Natürlich habe ich die Aktie an meinem Kursziel verkauft.
Doch die Aktie stieg weiter. Und weiter. Und ich musste zusehen, wie sie immer weiter stieg. Die Freude über den realisierten Gewinn überwog anfangs. Dann aber kam der Schmerz. Der Schmerz darüber, mit ansehen zu müssen, wieviel mehr Geld ich hätte verdienen können, wenn ich nicht an meinem Kursziel verkauft hätte. Dieser Schmerz über den entgangenen Verlust war fast schlimmer als der Schmerz, wenn die Aktie nicht zum Kursziel anstieg. Die begleitende Emotion bei dieser Variante war Enttäuschung. Das ist der böse Bruder von Hoffnung.
Kursziele bei Aktieninvestments mit längerem Anlagehorizont zu bestimmen ist sinnlos und kontraproduktiv!
Wenn ich also darüber nachdenke, ob Kursziele bei Aktieninvestments festzulegen sinnvoll ist oder nicht, dann muss ich eindeutig konstatieren, dass es nicht sinnvoll ist. Es gibt keinen einleuchtenden Grund.
Die Bestimmung eines Kursziels ist nicht nur sinnlos, sondern sogar kontraproduktiv. Das Kursziel ist der festgelegte Referenzpunkt. Dieser Referenzpunkt bestimmt meine Einschätzung der Gesamtsituation. Beim Kauf der Aktie lege ich diesen Referenzpunkt fest. Er bestimmt, ob ich eine gute oder schlechte Investmententscheidung getroffen habe. Das Ergebnis messe ich immer an diesem Referenzpunkt. Das Urteil, ob ich ein guter oder ein schlechter Investor bin, hängt von diesem Referenzpunkt ab. Und das ist natürlich Quatsch, sich daran zu messen.
Fehler vieler Privatanleger ist es, einen Referenzpunkt, zum Beispiel den Einstiegskurs bei einer Aktie, als Maßstab für Erfolg oder Misserfolg zu verwenden!
Wir bemessen viele Ergebnisse nach Referenzpunkten, die wir uns gesetzt haben. Wir vergleichen Zahlen miteinander, um einschätzen zu können, ob wir richtig oder falsch liegen. Wir vergleichen aber auch die Qualität eines Urlaubs danach, wie gut oder schlecht er im Vergleich mit dem Urlaub im vergangenen Jahr abgeschnitten hat. Wir beurteilen also Gewinn oder Verlust, Erfolg oder Nichterfolg nach selbst gesetzten Referenzpunkten.
Wir wissen bei dieser Herangehensweise noch nicht einmal, ob die gesetzten Referenzpunkte korrekt alle Informationen widerspiegeln. Wer sich näher mit Referenzpunkten und deren Einfluss auf Urteile beschäftigen möchte, dem sei an dieser Stelle das Buch von Daniel Kahneman „Schnelles Denken, langsames Denken“ empfohlen! Ich habe es in diesem Artikel ausführlich vorgestellt!

Die nächste Falle: Benchmarks als Richtschnur zur Messung der Performance im Aktiendepot!
Referenzpunkte als problematisches Kriterium wirken auch bei der Verwendung von Benchmarks. Benchmarks werden häufig verwendet, um die Performance des eigenen Depots mit einem Index zu vergleichen. Sie sagen letztendlich aber überhaupt nichts über den Fonds oder die einzelne Aktie oder das private Wertpapierdepot aus. Meine Performance mit einer Benchmark wie dem Dax oder dem S&P 500 zu vergleichen, ist sinnlos. Ich bekomme keine Aussage darüber, ob meine Investments gut oder schlecht sind. Trotzdem verwende ich sie bei meiner Depotübersicht zum Jahresende. Auch mein Broker schickt mir meinen Depotauszug immer mit grafischen Darstellungen meiner Performance im Vergleich zu der von Indices. Darüber sollte ich nachdenken und etwas ändern.
Eine Planung für Kursziele bei Aktieninvestments ist Kontrolle-Illusion!
Aber kehren wir zurück zum Thema Kursziele bei Aktieninvestments. Die Bestimmung eines Kurszieles lenkt meine Aufmerksamkeit in die Zukunft. Zukunft kann ich aber nicht kontrollieren. Wenn ich das annehme, ist das eine Kontroll-Illusion. Das Schlimme an dieser Kontroll-Illusion ist, dass sie mich von den aktuellen Einflüssen ablenkt. Durch meine Fokussierung auf mein selbst bestimmtes Kursziel blende ich andere Einflussfaktoren aus. Ich sehe das „Big picture“ nicht mehr. Mein Fokus ist klein. Größere Marktbewegungen in übergeordneten Zeitrahmen nehme ich nicht wahr. Charttechnische Faktoren wie Unterstützungs- und Widerstandsbereiche ignoriere ich. Oder um es einfacher zu sagen: Ich habe mich in meine Aktie verliebt! Etwas, was man als Investor niemals tun sollte.
Warum es sinnvoll ist, Kriterien zu verwenden, die persönlich beeinflussbar sind!
Deshalb verzichte ich auf eine Bestimmung von Kurszielen bei Aktieninvestments! Ich beziehe nur noch die Kriterien in meine Überlegungen ein, die ich selbst aktiv beeinflussen kann. Das sind nicht viele. Aber die Positionsgröße gehört auf jeden Fall dazu und auch die Frage, wieviel Geld ich im schlimmsten Fall verlieren möchte mit dieser Aktie. Letztendlich alle Kriterien, die mein Risiko bei meinen Aktieninvestments für mich beherrschbar machen.
Kursziele bei Aktieninvestments: Zukunft ist nicht vorhersagbar!
Viele Privatanleger leiden an Kontroll-Illusion. Sie sind der Meinung, die Zukunft vorhersagen zu können. Das ist falsch. Keiner kann heute sagen, was nächste Woche passieren wird. Das funktioniert schon bei den Wettervorhersagen nur im sehr kleinen Zeitfenster. Wie soll das an den Finanzmärkten funktionieren?
Auch der Blick in die Vergangenheit ist fehlerbehaftet. Diese Rückschau impliziert, dass man die Kursentwicklung einer Aktie voraussagen kann auf der Grundlage ihrer Bewegungen in der Vergangenheit. Das sind beides Varianten von Kontroll-Illusion!
Nur das, was ich selbst beeinflussen kann bei meinen Investments, unterliegt dauerhaft meiner Kontrolle!